„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Donnerstag, 3. Mai 2018

Ugo Bardi, Der Seneca-Effekt. Warum Systeme kollabieren und wie wir damit umgehen können, München 2017

(oekom verlag, Hardcover, 320 S., 25.-- €)

1. Zusammenfassung
2. Gaia-Hypothese
3. Geld

Bardis hauptsächlicher theoretischer Zugriff auf das Phänomen ‚Geld‘ besteht in seiner Steuerungsfunktion für Produktion und Handel, letztlich eigentlich vor allem für den Handel. Mit Hilfe des Geldes werden industrielle und landwirtschaftliche Produkte weltweit verteilt, so daß der Mangel von bestimmten Produkten in einer Region durch die Produkte anderer Regionen ausgeglichen werden kann:
„Heute ist die ganze Welt durch ein Handelssystem verbunden, das vor allem auf dem Seetransport beruht. ... All das ist möglich, weil es in dem System ein Steuerungselement gibt: das globalisierte Finanzsystem. Die Integration der regionalen Ökonomien in ein großes weltweites System hat es möglich gemacht, dass für weite Teile der Weltbevölkerung Nahrungsmittel von überall her bezogen werden können. Damit wurden die Folgen lokaler Nahrungsmittelknappheit auf ein Minimum reduziert. Selbst die Menschen, die zu arm sind, um Nahrungsmittel zu Marktpreisen zu kaufen, überleben, weil Hilfsorganisationen Nahrung in alle Erdteile schicken und sie kostenlos oder zu niedrigen Preisen verteilen – zumindest ist der Prozentsatz derer, denen nicht geholfen werden kann, gesunken.“ (Bardi 2017, S.138f.)
Das Negativbeispiel für eine ‚Ökonomie‘ ohne Geld – Bardi geht so weit, zu behaupten, daß eine Ökonomie ohne Geld „schlichtweg keine Ökonomie“ sei (vgl. Bardi 2017, S.125) – ist Irland, wo es im 18. und 19. Jhdt. mehrere große Hungersnöte gegeben hatte. (Vgl. Bardi 2017, S.117ff.) Bardi führt diese Hungersnöte auf drei Umstände zurück: die steilen Felsküsten, die eine Versorgung der Bevölkerung über die See schwierig bis unmöglich machte, die Abhängigkeit von einem einzigen Grundnahrungsmittel, der Kartoffel, und den verbreiteten Mangel an Geld:
„Die irischen Bauern konnten ohne jegliches Geld überleben. Gut möglich, dass sie, wenn überhaupt, nur selten eine bedeutende Geldsumme zu Gesicht bekamen. Sie lebten gewissermaßen noch in einem frühen Stadium der Geschichte, als das Geld noch gar nicht erfunden war.“ (Bardi 2017, S.125)
Alle diese Umstände zusammen machten es praktisch unmöglich, Mißernten in einer Region durch Überschüsse in anderen Regionen auszugleichen.

Es gibt aber ein anderes Positivbeispiel von einer Inselökonomie, die sich zweieinhalb Jahrhunderte von anderen Ökonomien auf dem asiatischen Festland und von europäischen Seefahrtnationen abschottete: Japan in der Edo-Periode zwischen 1603 bis 1868. Die japanischen Herrscher schafften es, das Geld durch einen Exportverbot von Edelmetallen stabil zu halten (vgl. Bardi 2017, S.133), was dem römischen Imperium nicht gelungen war, weshalb es Bardi zufolge an der Erschöpfung seiner Gold- und Silberminen zugrunde gegangen war (vgl. Bardi 2017, S.44ff.). Es gab auch kein Bevölkerungswachstum, weil die Inselbevölkerung mehr in die anspruchsvolle Erziehung einiger weniger Kinder als in die Zeugung vieler Kinder investierte. Wir haben es beim Japan der Edo-Periode mit einer Gleichgewichtswirtschaft mit „null Prozent“ Wirtschaftswachstum zu tun:
„Diese Strategie erwies sich eineinhalb Jahrhunderte lang als erfolgreich.“ (Bardi 2017, S.135)
Der Hinweis auf das Edelmetall deutet an, daß Ökonomien, die ihre Währung an diesen Rohstoff binden, ein Wachstumsproblem haben, wenn man das so nennen will. Man könnte auch sagen: eine Währung, die an einen begrenzten Rohstoff gebunden ist, ist besser für eine Gleichgewichtswirtschaft geeignet. Die Wirtschaftswissenschaftler unterscheiden hauptsächlich zwischen zwei Formen des Geldes: dem auf Edelmetallen basierenden Geld und dem auf Schulden bzw. auf ‚Kredit‘ basierenden Geld. Die für das Edelmetall plädieren, werden als ‚Metallisten‘ bezeichnet, während diejenigen, die zum Kreditwesen neigen, als ‚Chartalisten‘ bezeichnet werden, von lat. ‚charta‘, Papier, also Zahlen (Schulden), die auf ein Stück Papier geschrieben werden. (Vgl. Bardi 2017, S.99f.) Auf Schulden basierendes Geld wird auch als ‚nominalistisches Geld‘ bezeichnet. (Vgl. meine Blogposts vom 25.11. und vom 28.11.2012)

Im Unterschied zu den begrenzten Ressourcen Silber und Gold sind Schulden unbegrenzt, und damit auch der Reichtum auf der Seite der Gläubiger. Sobald eine auf nominalistischem Geld beruhende Ökonomie mit der „Möglichkeit des negativen Vermögens“ zu rechnen begann, gab es keine Ober- und Untergrenzen mehr:
„Es gibt keine Grenzen für den Reichtum, den man anhäufen kann, und auch den Schulden sind keine Grenzen gesetzt. Nach diesem Modell neigen Vermögen und Schulden dazu, sich unentwegt zu vermehren.“ (Bardi 2017, S.113)
Das nominalistische Geld bildet also die Grundlage für das globale Wirtschaftssystem. Es gibt Berechnungen, daß 95 Prozent der im Umlaufen befindlichen Geldmenge durch keine konkreten Produkte bzw. Waren mehr gedeckt sind.

Genau an dieser Stelle macht sich nun aber bei Ugo Bardi der Mangel an einer fundamental-anthropologischen Reflexion schmerzlich bemerkbar. So eine anthropologische Reflexion finden wir bei Christina von Braun in ihrem Buch „Der Preis des Geldes“ (2012). Ihre kulturanthropologischen Überlegungen legen den Gedanken nahe, daß das nominalistische Geld den Menschen von seiner natürlichen Umwelt abgenabelt und seine körperleiblich fundierte Bedürfnisstruktur völlig umgekrempelt hat. An die Stelle der biologischen Fruchtbarkeit, die den Eltern eine Perspektive auf Kind und Kindeskind über ihren Tod hinaus eröffnet, treten Zins und Zinseszins mit ihrer Perspektive über alle biologischen und planetarischen Grenzen hinaus.

Ugo Bardi schreibt, die „Chimäre des pekuniären Gewinns“ habe den Menschen veranlaßt, „falsche Entscheidungen zu treffen, welche zu weiteren falschen Entscheidungen führen“. (Vgl. Bardi 2017, S.98) Das mag sein. Es führt aber an dem eigentlichen Problem des Geldes meilenweit vorbei.

Wir haben es beim Menschen nicht einfach mit einer genetisch bedingten Neigung zu tun, das zu zerstören, wovon er lebt (vgl. Bardi 2017, S.180f. und S.233), zu der dann noch das nominalistische Geld hinzukommt, um diese irrationale Tendenz zusätzlich zu steigern. Tatsächlich ist das Geld, das keinerlei Deckung mehr zu natürlichen Ressourcen oder zu industriellen Produkten mehr hat, zu einer gigantischen Wertvernichtungsmaschinerie geworden, die zudem noch alchimistische Qualitäten aufweist, insofern sie Technologien ermöglicht, die die Erdkruste gründlicher um- und umgraben als alle Meteoriten der vergangenen Jahrmilliarden; Technologien, die Substanzen entwickeln, auf die die geologische und die biologische Evolution bislang nicht gekommen sind, und die das biologische Leben selbst reproduzieren und konstruieren, als hätten wir es hier nur mit einer weiteren Maschine zu tun.

Das alles läßt sich mit bloßer Habgier und Profitorientierung nicht mehr erklären. Es sind nicht mehr die Menschen, die Geldmünzen prägen oder Geldscheine drucken; es ist das Geld, das sich die Menschen macht, wie es sie braucht. Das Phänomen des nominalistischen Geldes läßt sich nur verstehen, wenn man die körperleibliche bzw. psychophysische Deformation des Menschen in Betracht zieht, die es bewirkt.

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