„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Frans de Waal, Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote, Stuttgart 2015 (2013)

(Klett-Cotta, 365 S., gebunden, 24,95 €)

1. Methode I
2. Methode II
3. Monopole
4. Emotion und Kognition
5. Empathie und Altruismus
6. Gut, Böse und die Natur des Menschen
7. Moralität
8. Sex

Auch in diesem Buch wendet sich Frans de Waal immer wieder gegen den Versuch, dem Menschen ‚Monopole‘, also Eigenschaften zuzusprechen, die angeblich nur er hat und die ihn vor seinen tierischen Verwandten auszeichnen: „Als erstes gehen wir immer davon aus, dass alles, was wir tun und worauf wir stolz sind, eine neue Entwicklung sein muss. Dann entdecken wir, dass die Neandertaler das Gleiche taten, vielleicht sogar schon die Australopithecinen, und so gehen wir immer weiter zurück, bis wir bei den Affen angelangen, die möglicherweise die Ersten waren. Wer sagt denn, dass zum Beispiel die Steinzeit in unserer Abstammungslinie beginnt?“ (De Waal 2015, S.82f.)

Neben den Monopolen, die de Waal schon in seinem vorangegangenen Buch, „Das Prinzip Empathie“ (2011/2009), aufzählt (vgl. meinen Post vom 15.05.2011), spricht er hier u.a. das „gezielte Werfen“ an. (Vgl. de Waal 2015, S.27) Es ist auch hier keineswegs der Mensch, der allein besonders gut darin ist. Schimpansen tun es ihm gleich und nutzen diese Fähigkeit besonders gern, um ihr Mißfallen auszudrücken, z.B. bei einer Eifersuchtszene, wie de Waal an der eigenen Person erfahren mußte, als er „Mama“, eine ältere Schimpansin, bei der Futterverteilung bevorteilte: „Das blieb den anderen Schimpansen natürlich nicht verborgen, und Mamas erwachsene Tochter Moniek wurde eifersüchtig. Sie schlich sich heran, hob einen schweren Stein auf und warf ihn aus einer Entfernung von circa zwölf Metern in meine Richtung. Monieks parabolischer Wurf hätte schlimme Folgen haben können. Der Stein hätte mich am Kopf getroffen, wenn ich sie nicht im Auge behalten hätte. Ich fing den Stein aus der Luft auf.“ (De Waal 2015, S.27) – Moniek gefiel es nicht, daß zwischen ihrer Mutter und de Waal eine besondere Freundschaft bestand.

Ein anderes Monopol, das angeblich so einzigartige menschliche Gehirn, ist tatsächlich gar nicht so einzigartig. Tatsächlich haben wir es bei unserem Gehirn mit einem typischen, lediglich „maßstäblich vergrößerte(n)“ Primatengehirn zu tun. (Vgl. de Waal 2015, S.208)

Zu der Überbewertung des Gehirnvolumens habe ich mich schon öfter in diesem Blog geäußert. (Vgl.u.a. meinen Post vom 02.02.2015) Die Größe des Gehirns sagt sehr, sehr wenig über die tatsächlichen intellektuellen Leistungen eines Lebewesens aus. Von größerer Aussagekraft ist da schon der anatomische Unterschied zwischen den zentralen Nervensystemen der verschiedenen Tierarten. Und in dieser Hinsicht unterscheidet sich eben das menschliche Gehirn überhaupt nicht von den Gehirnen anderer Menschenaffen. De Waal zufolge wurde bislang „noch kein() Bereich im menschlichen Gehirn entdeckt, für den es nicht ein Äquivalent beim Affen gäbe“. (Vgl. de Waal 2015, S.142)

Auch der viel gepriesene präfontale Cortex, der „an der Emotionsregulation beteiligt ist“, ist verhältnismäßig zum Gesamtvolumen des Gehirns nicht größer als bei anderen Menschenaffen. Insgesamt sind im Großhirn nur „19 Prozent aller Nervenzellen des Gehirns angesiedelt“. (Vgl. de Waal 2015, S. 208) Diese Verteilung der Nervenzellen entspricht dem typischen Säugetiergehirn: „Obwohl es (das menschliche Gehirn – DZ) ingesamt groß ist, sind die Relationen der verschiedenen Teile unseres Gehirns keineswegs außergewöhnlich.()“ (De Waal 2015, S. 208) – Wenn man bedenkt, wie oft in der Forschergemeinde hinsichtlich des in absoluten Zahlen größeren Gehirns des Neanderthalers damit argumentiert wird, daß es im Verhältnis zu seiner größeren Körpermasse verhältnismäßig kleiner ist als das des Menschen, müßten diese Zahlen zum Primaten- und Säugetiergehirn eigentlich ein entsprechendes argumentatives Gewicht haben.

Allein die Sorge des Menschen um seinen guten Ruf (vgl. de Waal 2015, S.237f.) und sein Verhältnis zum Tod beschreibt de Waal als einzigartig (vgl. de Waal 2015, S.264). Was das erstere betrifft ist es allerdings nur in einem graduellen Sinne einzigartig, weil sich auch Schimpansen und Bonobos um ihren guten Ruf kümmern oder sich zumindestens darum kümmern sollten, weil sich die ‚öffentliche Meinung‘ einer Schimpansengruppe schnell sogar gegen Alphatiere richten kann:
„Jimoh der damalige Alphamann, bestrafte einen jüngeren Geschlechtsgenossen, weil dieser sich verbotenerweise mit einer bestimmten Schimpansin gepaart hatte. Normalerweise hätte Jimoh in einem solchen Fall den Rivalen einfach nur verjagt, aber aus irgendeinem Grund – vielleicht, weil die betreffende Schimpansendame sich ihm am selben Tag verweigert hatte – ging er mit Volldampf auf den Jüngeren los und ließ nicht mehr von ihm ab. Der rangniedere Schimpanse bekam vor lauter Angst Durchfall, und es sah überhaupt nicht so aus, als ob die Sache gut für ihn ausgehen würde. Doch bevor Jimoh ihn in die Finger bekam, fingen die Schimpansinnen mit einem Mal an, laute Protestschreie auszustoßen. Das Gebrüll schwoll zu einem gewaltigen Chor an, in den schließlich auch die Alphafrau einstimmte. Als der Protest seinen Höhepunkt erreichte, brach Jimoh seine Attacke mit verlegenem Grinsen ab: Er hatte die Botschaft verstanden. Diese Szene kam mir vor wie ein Anschauungsbeispiel für öffentliche Meinungsbildung.“ (De Waal 2015, S.219f.)
Aus diesen und ähnlichen Gründen achten Menschenaffen, so de Waal, ansonsten sehr darauf, „wie Individuen mit anderen umgehen“: „Bei einem Experiment zogen sie den Menschen vor, der andere gut behandelt hatte. Dabei spielte es keine Rolle, wie sie selbst behandelt worden waren; vielmehr hatte der Betreffende sein Ansehen dadurch erhöht, dass er Futter mit anderen Mitgliedern der Schimpansengruppe teilte.()“ (De Waal 2015, S.236)

Das Ansehen bzw. der gute Ruf spielt also auch in Schimpansengruppen eine wichtige Rolle. Beim Menschen ist das aber aufgrund seiner Sprachfähigkeit noch viel ausgeprägter:
„Wir sind uns darüber im Klaren, dass selbst kleine Verstöße im Keim erstickt werden müssen, damit ein Individuum gar nicht erst auf die Idee kommt, größere zu begehen. Dazu nutzen wir einen unserer größeren Vorteile, die Sprache. Sie ermöglicht uns zum Beispiel, von Ereignissen zu berichten, die schon lange zurückliegen oder ganz woanders passiert sind. Auf diese Weise erfahren alle davon. ... Die menschliche Sorge um das eigene Ansehen und das Wohl der Gemeinschaft ist mit nichts vergleichbar, was wir bei anderen Primaten gesehen haben; auf diese Weise hat der Mensch das moralische Netz um jedes Individuum herum festgezurrt.“ (De Waal 2015, S.237f.)
Hier haben wir also so etwas wie ein graduelles Monopol: der Mensch achtet noch mehr als seine nächsten Verwandten auf seinen guten Ruf. Sein Verhältnis zum Tod bezeichnet de Waal allerdings als wirklich einzigartig: „Die Menschen haben sich immer bemüht, im Tod eine Fortsetzung des Lebens zu sehen. Es gibt keine Hinweise darauf, dass irgendein anderes Tier das genauso handhabt.“ (De Waal 2015, S.264)

Aber auch hier weiß de Waal von einer kleinen Einschränkung zu berichten. Obwohl nämlich Schimpansen ihren eigenen Tod nicht zu antizipieren scheinen, wurde bei ihnen ein seltsames Verhalten beobachtet, das vielleicht so etwas wie eine Beziehung zu höheren, spirituellen Mächten impliziert. Bei starken Regenfällen kommt es vor, daß Schimpansenmänner eine Art rituellen Tanz aufführen, den sie so lange tanzen, bis der Regen aufhört:
„Als der Regen jedoch immer stärker wurde und auch die Bäume keinen Schutz mehr boten, erhoben sich plötzlich zwei erwachsene Schimpansen mit gesträubtem Fell und gaben eine Machtdemonstration zum Besten: Aufrecht auf zwei Beinen stehend sahen sie wie menschliche Schlägertypen aus. Mit ausladenden, rhythmischen Schritten liefen sie durch den Regen und waren bald völlig durchnässt. Erst als der Regen nachließ, setzten sie sich wieder hin.“ (De Waal 2015, S.268f.)
De Waal hält es für möglich, „dass die Menschenaffen aus irgendeinem Grund davon ausgehen, sie könnten die Naturgewalten beeinflussen“. (Vgl. de Waal 2015, S.269)

Allerdings gibt es noch ein Monopol, das de Waal dem Menschen zugesteht und zu dem selbst ihm keine Einschränkung mehr einfällt: „Der einzige rein menschliche Ausdruck von Verlegenheit und Scham ist – wie bereits Darwin feststellte – das Erröten.“ (De Waal 2015, S.211)

Die Scham bildet wie das Lachen und das Weinen (vgl. meine Posts vom 31.12.2010 und vom 01.01.2011) eine unmittelbar körperliche Reaktion auf eine Situation, die sich vom einen Augenblick auf den anderen der Kontrolle unseres Bewußtseins entzieht. Plessner schreibt hierzu, daß der Körper unserem Bewußtsein zu Hilfe kommt. Im Falle der Scham bildet das Erröten eine Reaktion auf die schockierende Erkenntnis, daß unser Inneres nach außen gekehrt wurde und nun für alle sichtbar geworden ist. Wir befinden uns plötzlich auf höchst unerfreuliche Weise im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Anderen. Dieses Gefühl der Entblößung wird nun selbst in Form des Errötens sichtbar. Eine Verdopplung und Bestätigung der Sichtbarkeit, die uns wünschen läßt, möglichst schnell im Plessnerschen Sinne an den Rand der Welt zurückzukehren bzw. in einem Loch zu verschwinden.

De Waal zufolge gehört das Erröten „zum gleichen evolutionären Paket, das uns auch Moralität beschert hat.“ (De Waal 2015, S.212; vgl. hierzu auch meinen Post vom 14.04.2014)

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