„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 22. Juni 2015

Papst Franziskus, Die Enzyklika „LAUDATO SI’“ von Papst Franziskus über die Sorge für das gemeinsame Haus, Freiburg/Basel/Wien 2015

(Herder, karton. 14,99 €, 268 S.)

1. Adresse: Wer gemeint ist
2. Technokratisches Paradigma
3. Transdisziplinarität
4. Körperleib und Positionalität
5. Wortfeld der Gabe

Franziskus’ Kritik am technokratischen Paradigma bezieht sich zum großen Teil auf Romano Guardinis „Das Ende der Neuzeit“ (1965/1950). Franziskus hebt dabei insbesondere den Gestellcharakter des technokratischen Paradigmas hervor: „Das technokratische Paradigma ist nämlich heute so dominant geworden, dass es sehr schwierig ist, auf seine Mittel zu verzichten, und noch schwieriger, sie zu gebrauchen, ohne von ihrer Logik beherrscht zu werden. Es ist ‚kulturwidrig‘ geworden, wieder einen Lebensstil mit Zielen zu wählen, die zumindest teilweise von der Technik, von ihren Kosten und ihrer globalisierenden und vermassenden Macht unabhängig sein können.“ (Laudato si’, S.118)

Die Gestell-Logik des technokratischen Paradigmas liegt also darin, daß es auf eine Weise ‚alternativlos‘ geworden ist, daß wir sogar bei unseren Versuchen, mit den von ihm ausgelösten Problemen fertigzuwerden, nicht auf Technologie verzichten können. Die unverbesserlichen Fortschrittsideologen plädieren deshalb dreist für eine weitere Steigerung dieses Gestellcharakters in Form eines Geoengineering und für eine Umwandlung der Erde in einen planetarischen Cyborg. Franziskus widerspricht solchen Vorstellungen: „Die rein technischen Lösungen laufen Gefahr, Symptome zu behandeln, die nicht den eigentlichen Problematiken entsprechen.“ (Laudato si’, S.155)

Franziskus plädiert für eine Politik, die sich nicht der Wirtschaft unterwirft, und für eine Wirtschaft, die sich nicht „dem Diktat und dem effizienzorientierten Paradigma“ beugt. (Vgl. Laudato si’, S.193) Er plädiert für eine „Humanökologie“, die die Beziehung „des Menschen zu dem moralischen Gesetz“ berücksichtigt, „das in seine eigene Natur eingeschrieben ist“. (Vgl. Laudato si’, S.163) Dem Gestell-Charakter des technokratischen Paradigmas setzt er eine ökologische Planwirtschaft entgegen, die eine kreativere Form der „Produktionsentwicklung“ ermöglicht, die „auf kluge(n) und rentable(n) Formen von Wiederverwertung, Umfunktionierung und Recycling“ basiert und die „Energieeffizienz der Städte“ verbessert und „vieles mehr“. (Vgl. Laudato si’, S.196)

Zugleich aber läßt Franziskus keinen Zweifel daran, daß es hier nicht um kosmetische Korrekturen am bestehenden technokratischen Paradigma geht, sondern um einen fundamentalen Wandel, um einen „neuen Menschen“. (Vgl. Laudato si’, S.128) Denn der Kern des technokratischen Paradigmas besteht Franziskus zufolge insbesondere in zwei den Menschen und seinen Planeten bedrohenden Momenten: in der beständig zunehmenden Beschleunigung der Veränderungen der menschlichen Lebensverhältnisse und in der Reduktion der biologischen und kulturellen Diversität auf die Rendite. Damit hebt Franziskus die unheilige Allianz zwischen Technologie und Geldwirtschaft hervor.

Franziskus verweist auf die „ständige Beschleunigung in den Veränderungen der Menschheit und des Planeten“, die zu „einer Intensivierung der Lebens- und Arbeitsrhythmen“ führt. (Vgl. Laudato si’, S.31) Diese Beschleunigung steht „im Gegensatz zu der natürlichen Langsamkeit der biologischen Evolution“ (ebenda). Genau das macht den technologischen Fortschritt so gefährlich. Er ist nicht mehr kontrollierbar, weil er sowohl die Grenzen des menschlichen Verstandes wie auch die Grenzen der Natur sprengt. Die Beschleunigung der techno-ökonomischen Entwicklung verleiht uns zwar eine ungeheure Macht (vgl. Laudato si’, S.113), aber dieser Macht entspricht auf Seiten des Menschen eine „dürftige Selbsterkenntnis in Bezug auf die eigenen Grenzen“. (Vgl. Laudato si’, S.115)

Zu dieser ‚dürftigen‘ Selbsterkenntnis gesellt sich die Reduktion des menschlichen Handelns auf die „Rendite“: „Innerhalb des Schemas der Rendite ist kein Platz für Gedanken an die Rhythmen der Natur, an ihre Zeiten des Verfalls und der Regenerierung und an die Kompliziertheit der Ökosysteme, die durch das menschliche Eingreifen gravierend verändert werden können.“ (Laudato si’, S.195) – Diese ‚Rendite‘ bzw. Profitorientierung der Geldwirtschaft betrachtet die biologische und kulturelle Vielfalt des Planeten und der menschlichen Gesellschaft lediglich als eine Ressource für die Gewinnmaximierung (vgl. Laudato si’, S.44ff., 74, 153f.), und sie „erwägt nicht ernstlich den realen Wert der Dinge, ihre Bedeutung für die Menschen und die Kulturen, die Interessen und Bedürfnisse der Armen“. (Vgl. Laudato si’, S.195) – Franziskus betont, daß das „Verschwinden einer Kultur ... genauso schwerwiegend sein (kann) wie das Verschwinden einer Tier- oder Pflanzenart, oder sogar noch gravierender.“ (Vgl. Laudato si’, S.155f.)

Trotz der alles durchdringenden Reduktionslogik des technokratischen Paradigmas verweist Franziskus auf die Notwendigkeit, daß sich auch der einzelne Mensch der eigenen Verantwortung bewußt sein müsse: „Es ist nützlich, immer daran zu erinnern, dass der Mensch ‚fähig‘ ist, ‚in eigener Verantwortung sein materielles Wohl, seinen sittlichen Fortschritt, seine geistige Entfaltung in die Hand zu nehmen‘.“ (Laudato si’, S.136; vgl. auch S.21f.)

Gerade weil der Gestellcharakter die ganze menschliche Lebenswelt durchdringt, nützen staatliche Maßnahmen in Form von Gesetzesinitiativen wenig, zumal sie oft nur eine kurze Halbwertzeit haben, bis zur nächsten Wahl einer Regierung, die vielleicht wieder alles, was ihre Vorgängerregierung in Gang gesetzt hat, rückgängig macht. (Vgl. Laudato si’, S.183ff., 214)

Eine dauerhaftere Umwandlung der Lebensverhältnisse muß deshalb auf der Ebene der Lebenswelt stattfinden, also auf der Ebene der ‚Gewohnheitsbildung‘. Es kommt darauf an „Gewohnheiten zu entwickeln“ (Laudato si’ S.214), die es dem Menschen ermöglichen, den Versuchungen seiner finanziellen Möglichkeiten zu widerstehen und seine Umwelt durch einen eingeschränkten Konsum zu schonen: „Man kann wenig benötigen und erfüllt leben, vor allem, wenn man fähig ist, das Gefallen an anderen Dingen zu entwickeln und in den geschwisterlichen Begegnungen, im Dienen, in der Entfaltung der eigenen Charismen, in Musik und Kunst, im Kontakt mit der Natur und im Gebet Erfüllung zu finden.“ (Laudato si’, S.226)

Diese Form der persönlichen Lebensführung als Widerstand gegen das technokratische Paradigma ist keineswegs geringzuschätzen. Und Franziskus sieht auch die Notwendigkeit einer international vernetzten Klima- und Umweltpolitik. (Vgl. Laudato si’, S.171ff.) Dennoch scheint mir, daß ihm die Verwendung mancher Worte zum „Lebensstil“ ein wenig zu leicht fällt, etwa wenn er davon spricht, daß der mit der Bedürfniseinschränkung einhergehende „innere Friede der Menschen“ „authentisch gelebt“ werden müsse. (Vgl. Laudato si’, S.227) Hier stellt sich mir die Frage, ob Franziskus tatsächlich über eine den Notwendigkeiten der Ökologie entsprechende „angemessene Anthropologie“ verfügt, wie er selbst sie einfordert. (Vgl. Laudato si’, S.128) Dazu aber mehr in einem der folgenden Posts.

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