„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Montag, 11. Mai 2015

Maxwell R. Bennett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 3/2015 (2003)

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 585 Seiten mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert, brosch., 49,90 €)

1. Zusammenfassung
2. Fachsprachliche und nichtfachsprachliche Begriffe
3. Denken und Sprechen
4. Phänomenologie und Sprachanalytik
5. Bindungsproblem (Gestaltwahrnehmung)
6. Innen-Außen-Differenz als Kryptokartesianismus
7. Qualia, Seele und das Arrangieren von Dingen
8. Gibt es Willensakte?
9. sprachanalytischer Reduktionismus

Bennett/Hacker unterscheiden zwischen einem ‚ontologischen‘ und einem ‚erklärenden‘ Reduktionismus. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.481) Der ontologische Reduktionismus setzt das Sein eines Menschen mit dem „Verhalten einer Menge von Nervenzellen“ (ebenda) gleich, der erklärende Reduktionismus führt es auf das Verhalten von Nervenzellen zurück. Beides läuft also auf denselben „mereologischen Fehlschluss“ hinaus: auf die Verwechslung des Ganzen mit einem seiner Teile, dem Gehirn. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.94)

„Im weitesten Sinne“, so Bennett/Hacker, besteht der Reduktionismus in der „Suche nach einer einzelnen einheitsstiftenden Erklärung eines Phänomens von bestimmter Art“: „Genauer betrachtet bemüht sich der Wissenschafts-Reduktionismus um die vollständige Erklärung der Natur und des Verhaltens von deren Bestandteilen (her).“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.483)

Damit ist eigentlich schon alles gesagt, und es hätte kaum der Mühe bedurft, an dieser Stelle noch einmal darauf einzugehen, wenn Bennett/Hacker sich nicht selbst nach ihrer eigenen Definition eines solchen Reduktionismusses schuldig gemacht hätten. Durch die Zerlegung von Wahrnehmungserlebnissen in Wahrnehmungen und Empfindungen haben sie die elementare „Teileinheit“ des Bewußtseins, wie sich Wygotski ausdrücken würde (vgl. meinen Post vom 22.03.2015), noch einmal in weitere Bestandteile zerlegt. Elementare Teileinheiten stehen bei Wygotski immer für ein Ganzes, das von diesen Teileinheiten her erklärt oder wenigsten beschrieben werden kann. Zerlegt man diese Teileinheiten noch einmal in weitere Bestandteile, so verlieren sie ihre Erklärungskraft für das Ganze, für das sie stehen. Beim Bewußtsein bestehen diese elementaren Teileinheiten in den Phänomenen. Wollen wir verstehen, was es mit einem Phänomen auf sich hat, müssen wir uns ihm mit unserer vollen Aufmerksamkeit zuwenden, und zu beidem, also zu unserer Aufmerksamkeit wie auch zu dem Phänomen selbst, gehören zusammen mit den Sinnen und ihren Wahrnehmungen auch Empfindungen und Gefühle.

Wenn ich also einen roten Apfel oder eine rote Geranie sehe, so habe ich es hier mit einem Ganzen aus Wahrnehmungen und Empfindungen zu tun. Um diesem Phänomen gerecht zu werden, muß ich in beide Richtungen blicken: Richtung Empfindungen und Gefühle, und dann verwende ich vorwiegend Metaphern; und Richtung Gegenstand, und dann verwende ich vorwiegend Begriffe. Nur beide Blickrichtungen ergeben das Ganze eines roten Apfels oder einer roten Geranie.

Für Bennett/Hacker hingegen zählt nur eine Blickrichtung, die in der begrifflichen Analyse des Wahrnehmungserlebnisses besteht: „Erstens müssen wir zwischen der Beschreibung der relevanten Erfahrung und der Beschreibung des Objekts der Erfahrung unterscheiden. Zweitens müssen wir zwischen der Beschreibung des Objekts der Erfahrung und der Beschreibung der Eigenschaften oder Qualitäten des Objekts der Erfahrung unterscheiden. Daher müssen wir drittens zwischen der Beschreibung der Erfahrung und der Beschreibung der Qualitäten der Erfahrung unterscheiden.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.387)

Wir haben es also mit lauter Zerlegungen der Wahrnehmungsphänomene in ihre Bestandteile zu tun. Ich bestreite nicht, daß diese Zerlegungen einen kritischen Wert haben und dazu beitragen, verworrene Wahrnehmungserlebnisse zu klären. Dabei darf aber nicht aus den Augen verloren werden, daß das Ganze eines Wahrnehmungserlebnisses, einschließlich aller Empfindungen und Gefühle, zur Person gehört, die Bennett/Hacker zufolge aus sprachanalytischer Sicht das eigentliche Wahrnehmungs- und Handlungssubjekt bildet. Jede Unterscheidung von Wahrnehmungserlebnissen (Phänomenen) nach ihren Bestandteilen beinhaltet deshalb auch eine Zerlegung der Person in ihre Bestandteile und stellt deshalb nach Bennett/Hackers eigenen Worten einen Reduktionismus dar.

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Sonntag, 10. Mai 2015

Maxwell R. Bennett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 3/2015 (2003)

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 585 Seiten mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert, brosch., 49,90 €)

1. Zusammenfassung
2. Fachsprachliche und nichtfachsprachliche Begriffe
3. Denken und Sprechen
4. Phänomenologie und Sprachanalytik
5. Bindungsproblem (Gestaltwahrnehmung)
6. Innen-Außen-Differenz als Kryptokartesianismus
7. Qualia, Seele und das Arrangieren von Dingen
8. Gibt es Willensakte?
9. sprachanalytischer Reduktionismus

Zu den wirklich beeindruckenden und für mich persönlich überraschenden Ergebnissen der Bennett/Hackerschen Sprachanalysen gehört der Nachweis, daß es keine Willensakte gibt. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.305f.) Das hört sich auf den ersten Eindruck gleichermaßen seltsam wie politisch gefährlich an, denn die Leugnung von Willensakten scheint zugleich auch die Leugnung von Willensfreiheit zu implizieren. Bennett/Hacker zeigen aber, daß das keineswegs so ist.

Tatsächlich ist es eher so, daß wir gemeinhin unseren einzelnen Willensakten eine viel zu große Bedeutung für unser Handeln zubilligen, wie eigentlich jeder, der schon mal zum Jahresende gute Vorsätze für das neue Jahr gefaßt hat, sehr wohl weiß. In der Regel sind alle guten Vorsätze am ersten Tag des neuen Jahres schon wieder vergessen. Letztlich handelt es sich bei Willensakten in den meisten Fällen um irgendwelche spontanen Impulse, die kurz aufflackern und schnell wieder verschwinden. Bennett/Hacker unterscheiden deshalb zwischen Willensakten und Willensstärke: „Willensakte gibt es durchaus. Akte nämlich, die wir unter großen Anstrengungen vollbringen, um unser Widerstreben oder unsere Handlungsschwierigkeiten zu überwinden, welche sich für gewöhnlich bei widrigen Umständen einstellen.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.305)

Wer mit „Entschlossenheit und Beharrlichkeit“ „seine Ziele gegen widrige Umstände“ durchsetzt, legt ein unbestreitbares Zeugnis für seine Willenskraft und damit für Willensfreiheit an den Tag. (Vgl. ebenda) Punktuelle Willensakte, wie sie Neurowissenschaftler – etwa in den Experimenten von Benjamin Libet (1916-2007; vgl. meinen Post vom 09.07.2013) – immer wieder anhand einzelner neuronaler Aktivitäten zu lokalisieren versuchen, sind für das Handeln des Menschen tatsächlich relativ bedeutungslos. Bennett/Hacker argumentieren, daß die Suche nach dem primären Willensakt zu einem unendlichen Regreß führt. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.305f.) Letztlich ist damit immer auch die Vorstellung von einem verursachenden und steuernden Homunkulus irgendwo im Gehirn verbunden.

Für das, was wir als Willensakt bezeichnen und was wir mit Willensfreiheit gleichsetzen, haben Bennett/Hacker ein anderes Wort, das den Sachverhalt weit besser auf den Punkt bringt: das akteuriale Bewußtsein, das sie dem Zuschauerbewußtsein gleichstellen, nur daß wir hier niemand anderem, sondern uns selbst beim Handeln zuschauen (vgl. Tafel III in meinem Post vom 03.05.2015): „Hier weiß der Akteur, was er tut, und widmet sich der Sache. Er handelt intentional und sein Wissen über das, was er tut, oder über das, was er zumindest zu tun versucht, ist nicht von der Beobachtung abgeleitet, wie es das Wissen darüber, was eine andere Person tut, für gewöhnlich ist.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.339)

Schlichter und zugleich zutreffender kann eine Definition für Willensfreiheit kaum ausfallen.

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Samstag, 9. Mai 2015

Maxwell R. Bennett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 3/2015 (2003)

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 585 Seiten mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert, brosch., 49,90 €)

1. Zusammenfassung
2. Fachsprachliche und nichtfachsprachliche Begriffe
3. Denken und Sprechen
4. Phänomenologie und Sprachanalytik
5. Bindungsproblem (Gestaltwahrnehmung)
6. Innen-Außen-Differenz als Kryptokartesianismus
7. Qualia, Seele und das Arrangieren von Dingen
8. Gibt es Willensakte?
9. sprachanalytischer Reduktionismus

Als Qualia werden traditionell Qualitäten von Wahrnehmungsempfindungen bezeichnet, die keine Eigenschaften des Objekts sind: „Jede ‚bewusste Erfahrung‘ oder jeden ‚bewussten Geisteszustand‘ charakterisiert ein Anfühlungswie, sodass sie zu haben bzw. in ihm zu sein für das Subjekt so und so ist. Bei diesem Anfühlungssoundso handelt es sich um ein Quale – eine ‚Gefühlsqualität‘.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.370)

So gilt z.B. die Farbempfindung als eine subjektive Zutat, die mit dem betreffenden Objekt nichts zu tun hat. Bennett/Hacker bezeichnen diesen „Qualitätsbegriff“ als „abwegig“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.366) Es gibt, so Bennett/Hacker, keine „Rotempfindung“, die man ‚sehen‘ oder ‚haben‘ könnte. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.175) Farben sind vielmehr objektive Eigenschaften der Gegenstände selbst, die das Licht auf spezifische Weise reflektieren.

Bennett/Hacker zufolge trägt der Qualia-Begriff zu einer unzulässigen „Erweiterung des Bewusstseinsbegriffs“ bei (vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.366), denn Qualia verweisen auf eine „innere() psychische Realität“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.352), die es aber so nicht gibt. Farbwahrnehmungen sind demnach nichts besonderes und schon gar nichts individuelles, das man nicht mit anderen teilen kann. Vielmehr brauche man, um seine Farbwahrnehmung, etwa ‚rot‘, zu verdeutlichen, nur auf einen roten Farbklecks oder einen roten Apfel zu zeigen, um problemlos allseitiges Einvernehmen herzustellen. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.382f.)

Genauso verhält es sich Bennett/Hacker zufolge auch mit anderen Qualia, wie etwa Gerüchen. Hier reicht es schon aus, ein entsprechendes „Verbalverhalten“ an den Tag zu legen: „Wenn man also gefragt wird, wie es sich anfühle, Rosen zu riechen, und wie es sei, Flieder zu riechen, kann die Antwort durchaus identisch ausfallen und lauten: ‚Entzückend‘. Wenn diese Antwort festlegt, wie es sich anfühlte, dann ist es offensichtlich nicht wahr, dass jeder distinkten Erfahrung durch ihre unverwechselbare qualitative Eigentümlichkeit oder ihr Quale ein einzigartiges Profil verliehen werden kann.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.373)

Mit anderen Worten: Wo Dichter Verse schreiben und sich Metaphern ausdenken, um Gefühlseindrücke wiederzugeben, reicht es bei Bennett/Hacker schon aus, einfach „entzückend“ zu sagen, und schon weiß jeder, wie es ist, Flieder zu riechen. Und der Beweis dafür, daß wir dabei dasselbe empfinden, liegt schlicht und einfach darin, daß wir alle dasselbe Wort verwenden! Wenn also irgendjemand den Fliederduft ‚entzückend‘ findet, und ich ihn auch ‚entzückend‘ finde, empfinden wir beide dasselbe. – Da fragt man sich, wozu überhaupt noch Gedichte und Romane geschrieben werden?

An dieser groben Simplifizierung, deren sich Bennett/Hacker schuldig machen, wird deutlich, warum bei ihnen die expressive Dimension der Sprache keine Rolle spielt. Damit fällt ein ganzer Bereich des menschlichen Verhaltens weg, von dem Bennett/Hacker behaupten, daß es das Grundkriterium ihrer Sprachkritik bilde. Denn auch die Innenwelt zeigt sich durch ein spezifisches Verhalten auf der Grenze zwischen innen und außen. Plessner beschreibt dieses Verhalten als ‚Seele‘: als den Wunsch, sich gleichzeitig zu zeigen und sich zu verbergen. (Vgl. meinen Post vom 14.11.2010) Es ist genau dieses Verhalten auf der Grenze zwischen innen und außen, das der Grund dafür ist, daß das, was wir sagen, niemals mit dem, was wir meinen, zur Deckung kommen kann.

Aufgrund von Bennett/Hackers Trennung zwischen Empfindungen und Wahrnehmungen und aufgrund der semantischen Reduktion der Wortbedeutung auf das, was sich zeigen läßt, wird jede Wahrnehmung zu einer Banalität, über die wir uns eigentlich gar nicht mehr zu verständigen brauchen. Es reicht, mit dem Finger darauf zu zeigen: „Es ist nichts Besonderes dabei, diese banalen Gegenstände zu sehen. Einen Tisch zu sehen ist natürlich etwas anderes, als einen Stuhl, Pult, Teppich etc. zu sehen, aber der Unterschied hat nichts damit zu tun, dass es sich anders anfühlt, ein Pult zu sehen, als einen Stuhl zu sehen. Der Anblick eines einfachen Tisches oder Stuhls zieht unter normalen Umständen keine wie auch immer geartete emotionale Reaktion oder Haltung nach sich.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.373 S.371)

Bennett/Hacker gestehen zwar zu, daß es „eine andere Erfahrung“ sei, einen „Laternenpfahl“ zu sehen als einen „Briefkasten“. Das bedeute aber keineswegs, daß mit diesen verschiedenen Dingen auch verschiedene Gefühle verknüpft seien. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.373 S.372) Das Arrangieren von Dingen in der Form eines Stillebens oder einer Collage (vgl. meinen Post vom 01.04.2015) hat also keinerlei Auswirkung auf unsere seelische Verfassung, denn die Dinge berühren uns innerlich nicht. Tatsächlich sind Laternenpfähle aber mit anderen Begleitempfindungen verbunden als Briefkästen. Laternenpfähle können das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit hervorrufen. Ein einsamer Laternenpfahl im Wald wie in den Chroniken von Narnia kann gleichzeitig fremdartig und vertraut wirken. In Revolutionszeiten können Laternenpfähle als Galgen mißbraucht werden und der bloße Anblick eines als Galgen in Betracht kommenden Laternenpfahls kann Angst und Schrecken verbreiten. Die Abwesenheit von Laternenpfählen in Tolkiens Fantasy-Welt beinhaltet seinen ausdrücklichen Protest an der Elektrifizierung unserer Städte im 20. Jhdt.

Briefkästen hingegen können mit Empfindungen von Neugier und Erwartung und sogar von Sehnsucht verbunden sein, und oft genug endet eine Briefkastenerfahrung mit einer Enttäuschung. Oder Briefkästen können Gefühle der Angst davor wecken, welche Mahnungen und eventuell Vorladungen sie enthalten mögen, so daß man sie gar nicht mehr öffnen will.

Wenn man hingegen meint, es reiche aus, um den Duft von Flieder zu beschreiben, „entzückend“ zu sagen, könnte man auch behaupten, daß das Sehen eines Licht spendenden Laternenpfahls in einer dunklen Nacht oder das Sehen eines Briefkastens, aus dessem Schlitz die vielversprechende Ecke einer lang erwarteten Briefsendung herauslugt, gleichermaßen ‚erfreulich‘ sei, so daß mit diesen verschiedenen Wahrnehmungen eben doch keine „andere Erfahrung“ verbunden, sondern eben alles eins wäre, wie bei dem von Bennett/Hacker angeführten gleichermaßen entzückenden Rosen- und Fliederduft.

Daran ändert auch Bennett/Hackers Zugeständnis an der tatsächlichen Verschiedenheit von Erfahrungen nichts: „Es kann gut sein, dass Sie ein Rembrandt-Gemälde, das ich genieße, ausdruckslos und langweilig finden. In diesem Sinn kann meine Erfahrung in qualitativer Hinsicht von der Ihren abweichen, auch wenn sie sich auf dasselbe Objekt beziehen und gleichermaßen klar erlebt werden. Es ist aber auch möglich, dass Sie es genauso interessant und schön finden.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.387)

Tatsächlich gibt es nämlich Bennett/Hacker zufolge kein Problem bei der wechselseitigen Verständigung über eine Erfahrung, wenn diese sich in ihrer Qualität zwischen zwei Erfahrungssubjekten unterscheidet und beim Betrachten eines Rembrandt-Gemäldes beim einen der Genuß und beim anderen die Langeweile vorherrscht. Bennett/Hacker bestreiten deshalb die „Nichtmitteilbarkeitsthese“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.385) bzw. die „Unaussprechlichkeitsthese“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.389), also die Differenz zwischen meinen und sagen. Wenn jemand glaubt, eine individuelle Erfahrung wie z.B. zum Aroma von Kaffee oder zum Rot einer Rose nicht mit den herkömmlichen sprachlichen Mitteln beschreiben zu können, heißt das nicht, so Bennett/Hacker, daß seine Empfindungen nicht mitteilbar wären, sondern daß er nach anderen Beschreibungsmöglichkeiten sucht: „Wir müssen uns jedoch klarmachen, dass eine derart insistierende Person keine rätselhafte Begrenzung unseres Beschreibungsvermögens enthüllt hat. Sie wendet sich lediglich gegen eine Konvention.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.390)

Das führt dann zu seltsamen Inkonsequenzen. So vertreten Bennett/Hacker immer wieder entschieden die Auffassung, daß es so etwas wie Synästhesien nicht gebe: „Das Auge und der Rest des visuellen, lichtempfindlichen Systems statten das Lebewesen mit dem visuellen Unterscheidungsvermögen aus. Es ist nicht möglich, Geräusche mit den Augen zu sehen.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.383f.)

Aber gerade die beispielhaften Beschreibungsformeln – „vollmundig, reich und röstfrisch“ für das Kaffeearoma und „dunkel und matt“ für das Rot der Rose –, die Bennett/Hacker dafür anführen, daß das Beschreibungsvermögen von Wahrnehmungsempfindungen – die es ihrer Ansicht nach ja ebenfalls nicht gibt – kein Problem der Nichtmitteilbarkeit, sondern lediglich eine Frage der Beschreibungskonvention seien, enthalten solche von ihnen ebenfalls geleugnete Synästhesien. Denn mit der Mattheit des Rots wird ein sensorisch völlig andersartig ausgestatteter körperlicher Zustand herangezogen, um die durch Lichtreize auf der Retina ermöglichte Rotempfindung, die man zudem sowieso nicht ‚haben‘ kann, zu charakterisieren.

Auch sonst haben wir es bei diesen Beschreibungsformeln zum großen Teil mit Metaphern zu tun, was von Bennett/Hacker nicht weiter thematisiert wird. Dabei wäre es für den Leser sicher nicht uninteressant, zu erfahren, worin genau der Zeigevorgang besteht, der der ‚Vollmundigkeit‘ und dem ‚Reichtum‘ des Kaffeearomas Bedeutung verleiht. Denn so intensiv wir auch auf unseren Mund oder auf einen Sack Geld zu deuten versuchen: nichts in diesem Zeigevorgang könnte irgendjemanden dazu veranlassen, zu vermuten, daß es uns dabei um das Kaffeearoma geht.
PS (12.05.2015): Ein Zeigevorgang ist immer gradlinig und direkt. Um auf eine Metapher zu ‚zeigen‘, müßte man schon um die Ecke zeigen können, sozusagen von hinten durch die Brust ins Auge.
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Freitag, 8. Mai 2015

Maxwell R. Bennett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 3/2015 (2003)

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 585 Seiten mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert, brosch., 49,90 €)

1. Zusammenfassung
2. Fachsprachliche und nichtfachsprachliche Begriffe
3. Denken und Sprechen
4. Phänomenologie und Sprachanalytik
5. Bindungsproblem (Gestaltwahrnehmung)
6. Innen-Außen-Differenz als Kryptokartesianismus
7. Qualia, Seele und das Arrangieren von Dingen
8. Gibt es Willensakte?
9. sprachanalytischer Reduktionismus

Gegen die Vorstellung, daß sich Wahrnehmungserlebnisse von Geranien oder Denkprozesse irgendwo ‚im Gehirn‘ abspielen, wenden Bennett/Hacker ein, daß es korrekt ausgedrückt heißen müßte, daß wir die Geranien im Garten sehen und daß wir z.B. in unserer Wohnung denken und nicht in unserem Gehirn: „Wir sind Menschen, und wir leben nicht in unseren Schädeln, sondern in unseren Wohnungen.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.486)

Die unter Neurowissenschaftlern verbreitete Neigung, zwischen einer äußeren Welt und inneren Wahrnehmungen zu unterscheiden, führen Bennett/Hacker auf einen verborgenen Kartesianismus zurückt, den sie als „Krypto-Cartesianismus“ bezeichnen. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.315ff.) Ähnlich wie Descartes, der zwischen einer res cogitans und einer res extensa, also zwischen einer inneren Denkwelt und einer äußeren Dingwelt unterschied, unterscheiden die Neurowissenschaftler zwischen dem Gehirn und dem Körper bzw. der Welt selbst: „Man sollte an dieser Stelle den bemerkenswerten Umstand erwähnen, dass die mit cartesianischen und empirischen Traditionen in Zusammenhang stehende irreführende philosophische Ausdrucksweise, nämlich die Rede von einer ‚Außenwelt‘, vom Geist auf das Gehirn übertragen wurde. Sie war aus dem Grunde irreführend, weil sie den Anschein erweckte, es gäbe eine innere ‚Bewusstseinswelt‘ und eine äußere ‚Welt der Materie‘. Was jedoch ein verworrener Gedanke ist. ... Der Unterschied zwischen dem, was im Gehirn, und dem, was außerhalb derselben ist, ist rein sprachlicher Natur und ganz unproblematisch.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.89, Anm.118)

Ironischerweise begeben sich Bennett/Hacker mit diesem Bezug auf das Gehirn auf das neurowissenschaftliche Niveau, anstatt die Differenz zwischen innen und außen als das zu nehmen, als was sie sich ‚zeigt‘; nämlich als ein Merkmal des ganzen Menschen, der, wie Plessner es beschreibt, die Welt in zwei ‚Richtungen‘ wahrnimmt: nach innen und nach außen. Wir haben es mit dem Phänomen einer Grenzüberschreitung zu tun, die Plessner auch als „Transgredienz“ bezeichnet. (Vgl. meinen Post vom 21.10.2010) Und das Grenzorgan, an dem wir diese Blickrichtungsänderungen vollziehen, ist die Haut.

Damit ist keinerlei räumlicher Verschachtelungsvorgang verbunden, entsprechend der bekannten russischen Puppe. In diesem Sinne gibt es keine psychischen Innenräume und keine physischen Außenräume. Aber es gibt sehr wohl eine innere und eine äußere Welt. Und das Gehirn befindet sich nicht ‚in‘ der Innenwelt bzw. es bildet auch nicht selbst eine Innenwelt. Es ist lediglich ein Organ des Körpers und gehört insofern zur Außenwelt. Indem sich Bennett/Hacker aber gegen eine Innenweltperspektive wenden und die Innen/Außen-Differenz mit dem neurowissenschaftlichen Kryptokartesianismus gleichsetzen, subsumieren sie die Innen/Außen-Differenz unter das Lokalisationsprinzip des mereologischen Fehlschlusses. Letztlich machen sie sich damit selbst des Reduktionismusses schuldig, den sie den Neurowissenschaftlern vorwerfen.

Das Fehlen einer Innen/Außen-Differenzierung führt direkt zur Gleichsetzung von Denken und Sprechen und zur Gleichsetzung von Bedeutung mit Referentialität. (Vgl. meinen Post vom 05.05.2015) Die Expressivität, die mit einer Differenzierung zwischen dem, was wir meinen, und dem, was wir sagen, einhergeht, gerät aus dem Blick. Darauf werde ich im nächsten Post noch mal zurückkommen.

Alle Redewendungen im Sinne einer „Standardverwendung“ von Sprache, die auf eine Innen/Außen-Differenzierung des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses hinweisen, führen Bennett/Hacker auf das entsprechende Verhalten des Menschen zurück. Psychologische Prädikate, also alle Bewußtseinszustände von Wahrnehmungserlebnissen über Gefühle bis hin zu Gedanken und Intentionen, sind „kriteriell“ mit dem entsprechenden Verhalten des Menschen verknüpft. Wenn etwa eine Person sagt, daß sie traurig ist, und sie auch eine entsprechende Mimik und eine entsprechende Körperhaltung an den Tag legt, dann sind ihre Worte durch dieses Verhalten ausreichend belegt: „Die kriteriellen Gründe dafür, einer anderen Person psychologische Prädikate zuzuschreiben, sind begrifflich mit dem betreffenden Prädikat verknüpft. Sie sind mitkonstitutiv für die Bedeutung des Prädikats. Die normale Zuschreibung psychologischer Prädikate zu anderen Personen geht also nicht mit einer induktiven Identifizierung einher.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.107)

Mit „induktive Identifizierung“ ist hier das gemeint, was Tomasello als Abduktionslogik bezeichnet, also der Rückschluß vom beobachtbaren Verhalten auf innere Bewußtseinszustände. (Vgl. meinen Post vom 29.10.2014) Psychologische Prädikate erhalten ihre Bedeutung also Bennett/Hacker zufolge nicht von diesen inneren Bewußtseinszuständen her, sondern nur vom entsprechenden beobachtbaren Verhalten her. Semantik wird auf Referentialität reduziert. Bedeutung stiftet nur, worauf sich zeigen läßt.

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Donnerstag, 7. Mai 2015

Maxwell R. Bennett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 3/2015 (2003)

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 585 Seiten mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert, brosch., 49,90 €)

1. Zusammenfassung
2. Fachsprachliche und nichtfachsprachliche Begriffe
3. Denken und Sprechen
4. Phänomenologie und Sprachanalytik
5. Bindungsproblem (Gestaltwahrnehmung)
6. Innen-Außen-Differenz als Kryptokartesianismus
7. Qualia, Seele und das Arrangieren von Dingen
8. Gibt es Willensakte?
9. sprachanalytischer Reduktionismus

Der reduktionistische Molekularismus der Neurowissenschaftler führt dazu, daß sie einzelne Wahrnehmungen in ihre Bestandteile zerlegen. So wird die visuelle Wahrnehmung in den Lichtreiz, wie er auf der Retina durch das einfallende Licht erzeugt wird, in den Transport elektro-chemischer Potentiale durch den Sehnerv und in deren Eintreffen und Verarbeitung im Occipitallappen im hinteren Teil des Gehirns zerlegt. Und das ist noch eine recht grobe Zergliederung der visuellen Wahrnehmung. Deshalb haben die Neurowissenschaftler das Problem, wie die physiologische Zerlegung der visuellen Wahrnehmung ‚im Gehirn‘ wieder zu einem zusammenhängenden ‚Bild‘ zusammengesetzt wird.

Diese Problematik ist schon früh anhand der Farbwahrnehmung diskutiert worden. Dabei ging es darum, daß man den Farbeindruck nicht als eine reale Eigenschaft von Objekten verstand, sondern als eine subjektive Zutat. Solche subjektiven Zutaten nannte man dann „Qualia“. Um diese Qualia und später auch die Bildwahrnehmung zu erklären, ging man schon im 18. Jhdt. von einer besonderen Bewußtseinsfunktion aus, die die verschiedenen spezialisierten Bewußtseinsbereiche überblickt und steuert, und nannte sie den „sensus communis“. Die Neurowissenschaftler sprechen vom „Bindungsproblem“, worin zum Ausdruck kommt, daß verschiedene Funktionen zu einer ganzheitlichen Wahrnehmung zusammengefügt werden müssen. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.20f.) Im Rahmen dieses Blogs bezeichne ich die Bewußtseinsleistung, um die es hier geht, immer als ‚Gestaltwahrnehmung‘.

Bennett/Hacker ordnen das Bindungsproblem der Homunkulus-Problematik zu, von der in diesem Blog auch schon öfter die Rede gewesen ist. Der sensus communis funktioniert dabei wie ein innerer Homunkulus, der die ganze physiologische Maschinerie des Gehirns steuert. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.40 und S.94, Anm.124) Letztlich führen sie das Bindungsproblem auf einen verworrenen Sprachgebrauch zurück, bei dem die Charakteristika von ‚äußeren‘ Objekt-Wahrnehmungen auf ‚innere‘ Gehirnfunktionen übertragen werden, so als könne das Gehirn selbst als Wahrnehmungssubjekt auftreten. Das ist aber ein „mereologischer Fehlschluss“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.105) Man darf keine Eigenschaften, die sinnvoll nur auf ein Lebewesen bzw. eine Person als Ganzes bezogen werden können, auf eines seiner Teile, wie etwa das Gehirn, übertragen.

Im Rahmen meines Blogs habe ich diesen Fehlschluß immer als Korrelationsproblem thematisiert, womit ich mich dagegen wandte, einzelne neuronale Aktivitäten kausal mit Bewußtseinsphänomenen zu verbinden. Dabei sind diese verschiedenen neuronalen Aktivitäten auch nichts anderes als ebenso viele, unsere Wahrnehmungen und Aktivitäten steuernde Homunkuli.

Bennett/Hacker sprechen in diesem Zusammenhang von der problematischen Vorstellung einer ‚inneren‘ Repräsentation von Außenweltwahrnehmungen (vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.315), so als befände sich im Gehirn irgendwo eine Art Kino, in dem jemand vor sich auf eine Leinwand starrt und die darüber flimmernden Bilder der Außenwelt zur Kenntnis nimmt. Diese ‚Repräsentationen‘ sind, wie Bennett/Hacker sich ausdrücken, mit einem „Kausalsinn“ verbunden (vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.188), d.h. sie ‚steuern‘ unser außenweltliches Verhalten.

Mit dem Begriff der Repräsentation, also mit der eine Außenwelt repräsentierenden inneren Welt, ist die Vorstellung verbunden, daß das Gehirn wie ein ‚Speicher‘, im Sinne eines Gedächtnisspeichers, Informationen über die Außenwelt sammelt und aufbewahrt. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.212, 217) Dazu gehört auch die Vorstellung von einem „neuralen Code“, die Bennett/Hacker ebenfalls auf einen verworrenen Sprachgebrauch zurückführen: „Denn ein Code ist ein Verfahren zur Verschlüsselung eines sprachlichen Ausdrucks (oder jeder anderen Repräsentations- bzw. Darstellungsform), das Regeln gehorcht, die auf Konventionen beruhen.()“ Bennett/Hacker 3/2015, S.222) – Das Gehirn ist weder ein Wahrnehmungssubjekt, noch ist es dazu befähigt, Informationen zu sammeln oder Codes zu entziffern.

Von hierher wird es verständlich, warum Bennett/Hacker so viel Wert darauf legen, zwischen Wahrnehmung und Empfindung zu unterscheiden. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.159 und 165) Sie wollen der Versuchung, die innere Wahrnehmung analog zur äußeren Wahrnehmung zu verstehen, einen klaren begrifflichen Riegel vorschieben. Dieses Anliegen ist sehr verständlich, und deshalb möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal ergänzen, daß der Begriff der Apperzeption, wie ich ihn in diesem Blog immer verwende, nicht im Sinne einer Verdopplung der Objektwahrnehmung verstanden werden darf. Kants Begriff der Apperzeption verweist auf die Notwendigkeit, daß unsere Wahrnehmungen nur dann bewußte und im prägnanten Sinne unsere eigenen Wahrnehmungen sind, wenn wir ihnen ein „Ich denke“ hinzufügen können. Bei diesem „Ich denke“ handelt es sich zwar um eine Hinzu-Wahrnehmung, also eine Ap-Perzeption, aber sie beinhaltet nicht die Vorstellung eines inneren Homunkulus, der sich seine Wahrnehmungen betrachtet, so wie wir in der Außenwelt Tiere, Gegenstände und andere Außenweltphänomene wahrnehmen.

Dabei ist zu beachten, daß wir auch unsere inneren Phänomene wie Gedanken oder Gefühlszustände in diesem Sinne bewußt wahrnehmen können müssen, um sie zu haben und mit ihnen arbeiten zu können. Bei aller Leugnung der Innenwelt kommen auch Bennett/Hacker gelegentlich auf die Notwendigkeit eines „intransitiven Bewußtseins“ zurück, dessen Funktionen sie ähnlich beschreiben wie die Kantische Apperzeption, auf die sie übrigens an keiner Stelle verweisen. So heißt es z.B.: „Mein eigenes (intransitives) Bewusstsein ist kein möglicher Erfahrungsgegenstand für mich, sondern eine Voraussetzung für jedwede Erfahrung.()“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.332) (Vgl. Tafel III in meinem Post vom 03.05.2015) – Und an einer anderen Stelle heißt es, daß „jede Zuschreibung transitiven Bewusstseins voraussetzt, dass das Wesen in gewissem Maße intransitiv bewusst (‚bei intransitivem Bewusstsein‘) ist“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.411)

Wieder an einer anderen Stelle weisen Bennett/Hacker darauf hin, daß es zwar keine innere Wahrnehmung gibt, daß man seinen Gefühlen aber dennoch seine Aufmerksamkeit zuwenden kann: „Sich mit den eigenen Gefühlen zu befassen heißt nicht, dass man die eigenen Gefühle wahrnimmt; es heißt vielmehr, dass man ihnen Beachtung schenkt.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S119) – Eine solche „Beachtung“ kann man durchaus auch als eine Form der Achtsamkeit verstehen, also als Form einer nicht zwischen Subjekt und Objekt trennenden meditativen Einstellung.

Bennett/Hackers sprachkritische Ermahnungen, charakteristische Merkmale der Außenweltwahrnehmung nicht auf Empfindungen, Affektionen und andere Bewußtseinszustände zu übertragen, sind also sehr berechtigt. Indem sie dabei aber alle Innenweltphänomene leugnen, schießen sie einfach übers Ziel hinaus, und es ist auch keineswegs durch die Standardverwendung im Sinne des Alltagssprachgebrauchs gedeckt. Und wenn sie gegen die Vorstellung einer inneren „Bildwahrnehmung“ einwenden, daß es Bilder im eigentlichen Sinne nur in Form von Gemälden oder Photographien gäbe und unsere Gedanken und Affektionen deshalb keine Bilder seien (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.183), übersehen sie die eigentliche Analogie, auf die es hier ankommt.

Die Analogie, auf die es bei der Übertragung der äußeren Bildwahrnehmung auf die inneren ‚Wahrnehmungen‘ ankommt, besteht in einer gemeinsamen Differenz zum gesprochenen Wort. Das gesprochene Wort ist artikuliert und syntaktisch gegliedert. Es erstreckt sich über eine lineare Reihe von einzelnen Ausdrücken. Bilder hingegen ermöglichen vielfältige Perspektiven auf einen gleichbleibenden Hintergrund. Man kann Bilder auf viele verschiedene Weisen fokussieren, die sich in Worten nicht vollständig erfassen lassen. Deshalb bezeichnet Leroi-Gourhan Bilder als mehrdimensional, während die Sprache nur eindimensional ist. (Vgl. meinen Post vom 02.03.2013) Diese Mehrdimensionalität trifft auf ‚innere‘ wie ‚äußere‘ Bildwahrnehmungen zu.


Deshalb möchte ich gegen Bennett/Hackers Sprachkritik weiterhin an der Unterscheidung zwischen einer inneren Wahrnehmung im Sinne einer Bildwahrnehmung und einer äußeren Wahrnehmung im Sinne einer Objektwahrnehmung festhalten. Diese Unterscheidung geht einher mit einer Grenzbestimmung zwischen innen und außen (innere Wahrnehmung / äußere Wahrnehmung), zwischen meinen und sagen (vorsprachliches Denken / Denken als Sprechen) und zwischen einem Ganzem und seinen Teilen, wobei das Ganze beides meint, nämlich die innere wie äußere Wahrnehmung eines Menschen, während mit den Teilen die gegliederte Rede des sprachlichen Denkens gemeint ist. Darauf werde ich im nächsten Post zu sprechen kommen.

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Mittwoch, 6. Mai 2015

Maxwell R. Bennett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 3/2015 (2003)

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 585 Seiten mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert, brosch., 49,90 €)

1. Zusammenfassung
2. Fachsprachliche und nichtfachsprachliche Begriffe
3. Denken und Sprechen
4. Phänomenologie und Sprachanalytik
5. Bindungsproblem (Gestaltwahrnehmung)
6. Innen-Außen-Differenz als Kryptokartesianismus
7. Qualia, Seele und das Arrangieren von Dingen
8. Gibt es Willensakte?
9. sprachanalytischer Reduktionismus

Das Problem bei der sprachanalytischen „Philosophie des Geistes“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.514) ist, daß die Sprachanalytiker nicht genügend berücksichtigen, daß es neben der „Standardverwendung“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.8, 521), auf die sie ihre Analysen beziehen, immer auch sehr auf ihr jeweiliges, subjektives Sprachgefühl ankommt, wenn es darum geht, zu beurteilen, was man sagen kann und was man nicht sagen kann. Die sogenannte ‚Standardverwendung‘ der Sprache ist viel toleranter gegenüber kreativen Abweichungen – auch ohne explizite Neudefinitionen durch die Sprachverwender –, als Bennett/Hacker es wahrhaben wollen. Für die Variationsbreite innerhalb einer Standardverwendung der Sprache stehen die Metaphern. Und was hinsichtlich der Bildung von Metaphern ‚geht‘ und was nicht, entscheidet wiederum das subjektive Sprachgefühl der jeweiligen Gesprächspartner.

Sprachanalytik geht also immer mit einer Phänomenologie einher. Verfügten die Sprachanalytiker nicht über eine eigene sprachliche Intuition (Anschauung), könnten sie auch keine Urteile über den korrekten oder inkorrekten Gebrauch bestimmter Phrasen und Idiome fällen. Die Standardverwendung bildet dabei nur einen gewissen, recht vagen Hintergrund, vor dem dann entsprechende normative Urteile möglich werden. Überhaupt bildet die Sprache im Rahmen eines sprachanalytischen Vorgehens weniger einen ‚Ausdruck‘ des Denkens – wie Bennett/Hacker immer wieder auf verworrene Weise behaupten (vgl. u.a. Bennett/Hacker 3/2015, S.454) –, als vielmehr ein „Denk-Werkzeug()“, wie es an anderer Stelle richtigerweise heißt: „Es gehört sich so, dass wir unsere Werkzeuge kennen und sicherstellen, dass sie einwandfrei funktionieren und keines fehlt.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.518)

Tatsächlich benutzen Bennett/Hacker die Sprache bzw. den Alltagssprachgebrauch nämlich als Analysewerkzeug, um mit seiner Hilfe die neurowissenschaftlichen Begriffsverwirrungen zu klären. Indem sie aber die Sprache als „Ausdruck des Denkens“ bezeichnen, belegen sie nur die Verworrenheit ihres eigenen Sprachgebrauchs, wie sie etwa in folgender Behauptung zum ‚Ausdruck‘ kommt: „Die Grenzen des Denkens und Wissens sind die Grenzen des möglichen Ausdrucks des Denkens und Wissens.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.454) – Wenn die sprachlichen Grenzen nämlich tatsächlich mit den Grenzen des Denkens identisch wären, dann wären sie das Denken selbst, und es gäbe gar nichts mehr auszudrücken.

Auch sonst betreiben Bennett/Hacker viel Phänomenologie. Wenn sie über viele hundert Seiten hinweg detailliert die verschiedenen Bewußtseinszustände und Wahrnehmungserlebnisse und die zugehörigen sprachlichen Idiome beschreiben, legen sie dabei eine bemerkenswerte phänomenologische Sensibilität an den Tag. Doch bewegen sie sich dabei in einem beständigen performativen Widerspruch: Bennett/Hacker leugnen ständig, daß sie tun, was sie da gerade tun, nämlich gleichzeitig innere wie subjektive Erlebenisse zu beschreiben. So halten sie es z.B. für ‚verworren‘, zu glauben, daß es eine von der äußeren, physikalischen Welt unterscheidbare innere Welt der Erfahrung geben könne: „Die Verwirrung entsteht durch den Gedanken, dass eine ausschließlich physikalische Beschreibung der Welt die Erfahrung ausspart. Was wohl auch das Verhalten lebender Körper betreffen würde. Bei Erfahrungen handelte es sich allerdings nicht um Verhalten, sondern um etwas, das dem Verhalten zugrunde liegt, etwas wesentlich Subjektives.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.352)

Tatsächlich aber haben Bennett/Hacker kein Problem mit dem Subjektiven: „Es ist vollkommen korrekt zu behaupten, dass es ohne ein Subjekt keine Erfahrung geben kann, dass es keine Gedanken gibt, die nicht jemandes Gedanken sind, und keine Schmerzen, ohne dass jemand sie empfindet.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.451) Sie haben nur ein Problem damit, daß es etwas Inneres sein soll. Es gibt also subjektive Erfahrungen, aber sie bilden keineswegs irgendetwas Innerliches in irgendeiner Form.

Ausgangspunkt von Benntt/Hackers Überlegungen ist die Trennung zwischen Wahrnehmungen und Empfindungen: „Empfindungen sind keine irgendwie gearteten Wahrnehmungsobjekte, denn diese existieren, ob man sie nun wahrnimmt oder nicht.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.159) – Wahrnehmungen richten sich nach Bennett/Hacker nur auf äußere, vom Subjekt unabhängig existierende Objekte: „Die Wahrnehmungsvermögen sind kognitive Fähigkeiten derart, dass wir uns durch ihre Ausübung Wissen von Objekten und ihren Qualitäten, von Ereignissen und ihren charakteristischen Merkmalen und von bedeutsamen, in unserer Umgebung vorherrschenden Sachverhalten aneignen können.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.165)

Empfindungen haben Bennett/Hacker zufolge keine Objekte. Sie sind an bestimmte Körperstellen gebunden, wie Schmerz- und Juckreize. Außerdem bilden sie keine ‚Objekte‘ unserer Wahrnehmung, weil der Schmerz oder der Juckreiz unmittelbar empfunden wird: wir sind gleichzeitig Subjekte und Objekte unserer Empfindungen. Beziehungsweise wir sind überhaupt keine Subjekte unserer Empfindungen, sondern erleiden sie nur.

Die bevorzugte Empfindung, anhand deren Bennett/Hacker ihre Behauptung, daß Empfindungen weder Wahrnehmungen noch Objekte unserer Wahrnehmungen seien, belegen, ist die Schmerzempfindung, deren Charakteristika sie auf alle anderen Gefühlszustände übertragen. Die Trennung zwischen einerseits Empfindungen im engeren Sinne und Gefühlszuständen im weiteren Sinne und andererseits der Wahrnehmung als ausschließlich außenweltorientierter Erfahrung wird von Bennett/Hacker so radikal vollzogen, daß sie auch leugnen, daß Wahrnehmungen mit Empfindungen einhergehen. Dabei geht es ihnen vor allem um das Prinzip: sie leugnen, daß Empfindungen und Wahrnehmungen begrifflich eine Einheit bilden, auch wenn natürlich Empfindungen mit Wahrnehmungen einher gehen können. So ist z.B. das „Rot einer Geranie“, das man sieht, also wahrnimmt, „keine Rotempfindung“, denn die Rotempfindung wird „weder gesehen noch gehabt“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.175)

Durch diese allzu subtilen Unterscheidungen – die zudem nicht durch die „Standardverwendung“ der Sprache gestützt werden! – wird ein großer Bereich dessen, was das traditionelle Thema der  Phänomenologie bildet, ausgeschaltet. Die ganze Welt der inneren Phänomene, denen sich die Phänomenologen auf meditierende Weise zuwenden, wird durch Bennett/Hacker zum Anathema erklärt.

Mit der Leugnung einer inneren Vorstellungswelt, der man seine Aufmerksamkeit zuwenden könnte, geht aber – wiederum auf verworrene Weise – die Behauptung einher, daß es nichts gibt, was man sich nicht vorstellen kann, und daß unsere Vorstellungen nicht an irgendwelche äußeren, physikalischen Gesetze gebunden seien. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.250ff.) So könne man sich durchaus einen Würfel vorstellen, den man von allen Seiten gleichzeitig sieht, oder man könne sich ein Gesicht im Profil mit zwei Augen vorstellen, was alle die wissen, die „mit den Gemälden und Zeichnungen Picassos“ vertraut seien. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.252)

Mit dieser Behauptung wollen Bennett-Hacker allerdings nur darauf hinaus, daß unsere bildhaften Vorstellungen stets mit äußeren Bildwahrnehmungen verbunden sind. Ein inneres Abgleichen von Vorstellungsbildern, wie sie den Husserlschen Meditationen entsprechen, leugnen Bennett/Hacker. Damit leugnen sie allerdings auch die Möglichkeit eines inneren, vom Sprachgebrauch unabhängigen Abgleichs dessen, was ‚geht‘ und was nicht ‚geht‘, wie es Husserl immer wieder gerne an der Beschreibung einer imaginären Teetasse vorführte. Phänomenologen versuchen so zum Wesen einer Dingwahrnehmung vorzustoßen. Bennett/Hacker zufolge ist das alles nur ein Mißverständnis, das von einem verworrenen Sprachgebrauch herrührt.

Es ist interessant, daß Phänomenologen und Sprachanalytiker letztlich die gleiche Sorge miteinander teilen. Beide wollen die metaphysischen Verirrungen der Philosophie und der Wissenschaft bezüglich des Bewußtseins und des Mensch-Welt-Verhältnisses bereinigen, die einen durch Meditation, die anderen durch Sprachkritik: „Unwissenheit ist eine Sache, Rätselhaftigkeit eine andere. Die Wissenschaftler und Philosophen bekennen nicht nur ihre bedauerliche Unwissenheit, sie unterstellen gemeinhin auch, dass das Bewusstsein außerordentlich rätselhaft ist.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.324)

Phänomenologen und Sprachkritiker wenden sich also gemeinsam gegen die metaphysische Verrätselung der Welt. Aber es ist auch interessant, an welcher Stelle Sprachkritiker und Phänomenologen sich gegen diese Verrätselung wenden: Sprachanalytiker wenden sich gegen Begriffsverwirrungen und wollen das Bewußtsein vor allem als eine Form des Sprachgebrauchs verstanden wissen, während Phänomenologen sich gegen die Molekularisierung des Bewußtseins wenden und es vor allem als Phänomen verstanden wissen wollen. Beide gehen dabei von einer Naivität des Alltags aus: hinsichtlich des Sprechens die einen („Standardverwendung“), hinsichtlich des Erlebens die anderen („Lebenswelt“).

Im Grunde bewegen sich die Sprachanalytiker aber auf einem, wenn auch nicht unwichtigen, Nebenschauplatz der Kritik. Anstatt wie die Phänomenologen die Bewußtseinserlebnisse als unmittelbar gegeben anzunehmen und sie meditierend und beschreibend zu erfassen zu versuchen, widmen sie ihre ganze Aufmerksamkeit dem Instrument dieser Zuwendung, der Sprache. Dabei verlieren sie die Bewußtseinsphänomene selbst aus dem Blick und verstricken sich in eine moderne Scholastik der Wortklauberei, die sich am Ende auch noch gegen den naiven Wortgebrauch selbst richtet, der die Grundlage ihrer Kritik bildet. Mauthner hatte das verstanden, als er schrieb, man verliere als Sprachkritiker notwendigerweise den Boden unter den Füßen und schwebe in der Luft. (Vgl. meinen Post vom 13.10.2013)  Letztlich gehen deshalb auch Bennett/Hacker phänomenologisch vor. Denn ihre ganze Sprachkritik beruht zu einem wesentlichen Teil auf der genauen Beobachtung von Bewußtseinsphänomenen, zu denen nicht zuletzt auch die Sprache selbst gehört.

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Dienstag, 5. Mai 2015

Maxwell R. Bennett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 3/2015 (2003)

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 585 Seiten mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert, brosch., 49,90 €)

1. Zusammenfassung
2. Fachsprachliche und nichtfachsprachliche Begriffe
3. Denken und Sprechen
4. Phänomenologie und Sprachanalytik
5. Bindungsproblem (Gestaltwahrnehmung)
6. Innen-Außen-Differenz als Kryptokartesianismus
7. Qualia, Seele und das Arrangieren von Dingen
8. Gibt es Willensakte?
9. sprachanalytischer Reduktionismus

Das „Verbalverhalten“ des Menschen bildet zwar  einerseits nur eine bestimmte Form seines Gesamtverhaltens – man kann Bennett/Hacker hier gewiß keinen Reduktionismus vorwerfen –, aber es bildet zugleich auch das Kriterium, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Indem es zum ‚tierischen‘ Verhalten des Menschen gewissermaßen ‚hinzukommt‘, ermöglicht es ein über das auch den Tieren eigene Bewußtsein hinausgehendes, nur den Menschen auszeichnendes Selbstbewußtsein: „... sowohl Philosophen als auch Nichtphilosophen neigen dazu, das Selbstbewusstsein als Bewusstsein von einem Etwas auszulegen, das sie als ‚Selbst‘, ‚Ich‘ oder ‚Ego‘ bezeichnen. ... wie wir noch zeigen werden, ist das ‚Selbst‘ oder das ‚Ich‘ (so aufgefasst) eine auf Begriffskonfusionen zurückgehende Fiktion. Gewiss gibt es so etwas wie Selbstbewusstsein im philosophischen Sinne des Ausdrucks, dabei handelt es sich jedoch nicht um ein Bewusstsein von einem ‚Selbst‘, sondern um eine den Menschen allein auszeichnende Fähigkeit zu reflexivem Denken und Wissen, die mit dem Sprachbesitz steht und fällt.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.438)

Das letzte Zitat beinhaltet übrigens eine unbewußt-ironische Wendung, die sich gegen die von Bennett/Hacker vertretene Form der Sprachkritik richtet. Wenn nämlich „sowohl Philosophen als auch Nichtphilosophen“ dazu neigen, das ‚Selbst‘ als ein Etwas aufzufassen, so haben wir es hier doch wohl mit einem verbreiteten Sprachgebrauch, also mit einer „Standardverwendung“ von Worten zu tun. Und genau diese Standardverwendung ist es, die Bennett/Hacker angeblich ihrer Kritik zugrundelegen. Mit welchem Recht können sie dann also gerade diesen Sprachgebrauch kritisieren? Auf welches Wahrheitskriterium berufen sie sich hier?

Doch folgen wir weiter der Bennett/Hackerschen ‚Argumentation‘. Das Selbstbewußtsein, so Bennett/Hacker, resultiert als „Fähigkeit“, „darüber zu reflektieren, was man denkt oder fühlt“, aus der Fähigkeit, „zu sagen, was man denkt oder fühlt; folglich ist sie kein ‚Kunstgriff, mit dem die Natur aufwartete‘, sondern ein Begleitumstand des Besitzes einer entwickelten Sprache.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.118)

Mit dieser Qualifizierung von Selbstbewußtsein und Reflexionsfähigkeit als Begleitphänomenen der Sprache setzen Bennett/Hacker Denken und Sprechen gleich. Ein vorsprachliches Denken, etwa in Form eines bildhaften Denkens, das erst mühsam in die lineare Syntax des mündlichen Sprechens übertragen bzw. ‚übersetzt‘ werden muß, gibt es Bennett/Hacker zufolge nicht. Da stören sie auch gegenteilige Äußerungen von Einstein, Hadamard und Penrose nicht. (Bennett/Hacker 3/2015, S.466) Deren Verlautbarungen sind dann eben einfach nur Beispiele eines verworrenen Sprachgebrauchs.

Bennett/Hacker äußern sich eingehend zu der Vorstellung, man müsse ein inneres, bildhaft-vorsprachliches Denken erst mühsam in Worte ‚übersetzen‘. (Bennett/Hacker 3/2015, S.457ff.) Ihrer Ansicht nach handelt es sich bei der „Annahme, dass Sprache eine Übersetzung nichtsprachlichen Denkens ist“, um einen „fatalen Irrtum“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.458) Sie argumentieren, daß diese Annahme impliziere, daß man seine „wortlose(n) Gedanken“ einer vergleichenden Prüfung unterziehen könne, so wie man zwei äußere Wahrnehmungsobjekte, etwa ein Portrait und die portraitierte Person, miteinander vergleichen könne. Nur dieser Vergleich könne einen dann in den Stand versetzen, festzustellen, ob man seine wortlosen Gedanken korrekt in gesprochene Sprache ‚übersetzt‘ habe.

Die Vorstellung eines Aspekt für Aspekt miteinander vergleichenden Vorgehens beim Übersetzen von wortlosen Gedanken in Sprache weisen Bennett/Hacker mit der rhetorischen Frage zurück, ob Gedanken überhaupt „Bestandteile“ haben, die man miteinander vergleichen könnte, und sie schließen ihre Überlegungen mit der Bemerkung ab, daß man „ebenso wenig ‚wortlose Gedanken‘ in Worte übersetzen“ könne, „wie man die Zimmermöbel in Worte übersetzen kann.()“ (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.463) – Der Übersetzer merkt hierzu übrigens an, daß es sich an dieser Stelle um ein Wortspiel handelt, weil im Englischen ‚translate‘ u.a. auch ‚verschieben‘ bedeutet. Bennett/Hacker vergleichen also Gedanken mit Möbelstücken.

Das ist in der Tat bezeichnend für das sprachanalytische Vorgehen. Bennett/Hacker kennen nur ‚Begriffe‘. Andere Wortbildungen ziehen sie nicht in Betracht, obwohl sie sie in ihre Rhetorik einbeziehen. Denn was ist das Gleichsetzen von Gedanken mit Möbelstücken anderes als eine Metapher? In diesem Fall steht diese Metapher für eine Gleichsetzung von Bedeutung mit Referentialität. Worte verweisen auf ihre Bedeutungen wie Wegweiser auf einen Ort verweisen. Wir haben es mit einer 1:1-Entsprechung von Begriffen und Bedeutungen zu tun: „Denn ein Gedanke ist genau das, was durch eine Äußerung oder eine andere symbolische Repräsentation bzw. Darstellung ausgedrückt werden kann.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.239)

Wie sehr Bennett/Hacker das Zeigen als die Grundform der Bedeutungsstiftung verstehen, ‚zeigt‘ sich z.B. bei ihrer Diskussion der subjektiven und objektiven Qualitäten von Farbwahrnehmungen. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.381ff.) Die subjektive Dimension der Farbwahrnehmung wird vollständig geleugnet, und zwar dadurch, daß Bennett/Hacker den einzig sinnvollen Gebrauch von Farbwörtern auf die Möglichkeit zurückführen, daß wir auf einen bestimmten Farbeindruck zeigen können, also etwa auf einen roten Farbfleck oder auf einen roten Apfel.

Wir müssen also Bennett/Hacker zufolge immer entweder auf einen Gegenstand oder auf ein bestimmtes Verhalten verweisen bzw. zeigen können, um Worten bzw. Begriffen eine Bedeutung verleihen zu können. Wären hingegen auch innere „Vorstellungsbilder“ bedeutungsstiftend, „wüssten wir nie, ob eine andere Person die Worte versteht, die wir gebrauchen, ohne sie zu fragen, welche Vorstellungsbilder sie beim Hören dieser Worte habe“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.459) – Und selbst dann wenn wir nachfragen, können wir nie sicher sein, ob die Antwort zu einem endgültigen Verstehen führt; eine Vorstellung, die, wie Bennett/Hacker beteuern, „absurd“ wäre. (Vgl. ebenda)

Daß es so etwas wie eine Übersetzungsproblematik Bennett/Hacker zufolge nicht gibt, liegt also daran, daß sie von durch Zeigegesten sichergestellten 1:1-Entsprechungen von Begriffen und Bedeutungen bzw. Gedanken ausgehen. Damit fällt die ganze expressive Dimension von Sprache unter den Tisch. Darauf wird noch in den folgenden Posts zurückzukommen sein.

Letztlich reduzieren Bennett/Hacker das Denken auf eine bestimmte, engbegrenzte Form von Denken, die eigentlich eher ein Resultat des Denkens bildet als das Denken selbst: auf schlußfolgerndes Denken. Bennett-Hacker gestehen zu, daß es so etwas wie „heuristische Hilfsmittel“ des Denkens gibt, wie etwa Diagramme oder auf ein Blatt Papier hingekritzelte Skizzen. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.467) Das bedeute aber keineswegs, daß wir es hier mit einer Form des vorsprachlichen Denkens zu tun hätten: „Vorstellungsbilder können das Denken unterstützen, häufig sogar wesentlich – eine Beschreibung der Abfolge dieser Bilder, einschließlich der Bilder von Diagrammen und/oder algebraischen Symbolen, wäre jedoch weder eine Beschreibung des Denkens der Person (das als schnell, aufschlussreich und imponierend oder als langsam, schwerfällig und ineffektiv beschrieben werden kann) noch eine Darstellung dessen, was sie dachte. Und es gibt nichts dergleichen wie ein Übersetzen dieser Bilder in Sprache.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.467)

Weder Skizzen auf einem Blatt Papier noch innere Vorstellungsbilder können Bennett/Hacker zufolge sinnvoll als Denken bzw. als Ausdruck des Denkens bezeichnet werden. Diese Ehre können nur die Worte der gesprochenen Sprache für sich in Anspruch nehmen: „Die Worte, die wir beim Sprechen äußern, sind der Ausdruck unseres Denkens. Die Bilder, die wir während des Denkens heraufbeschwören, sind nicht der Ausdruck unseres Denkens, sondern sie unterstützen das Denken oder begleiten es.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.469)

Ich bin dagegen der Meinung daß die Apologeten des Sprachgebrauchs hier selbst wiedermal auf verworrene Weise die Dinge auf den Kopf stellen. Tatsächlich ist es ein abwegiger Sprachgebrauch, heuristisches Denken nicht als Denken bezeichnen zu wollen. Auf verworrene Weise stellen Bennett/Hacker das Endprodukt, das Resultat des Denkprozesses: die Schlußfolgerung, in der der Denkprozeß zu einem Ende kommt, als den eigentlichen Denkprozeß dar: „Man kann aufgrund der Evidenz e zu dem Schluss kommen, dass p, oder begreifen, dass c aus a und b folgt, ohne irgendetwas zu sich selbst zu sagen; notwendig ist allein, dass man von da an gewillt ist, unter sonst gleichen Bedingungen zu versichern, dass p aufgrund von e oder dass c aus dem Grund, dass a und b, oder willens ist zu handeln aus dem Grund, dass p, und in der Lage ist, die Tatsache, dass p, als den Grund für das eigene Handeln anzuführen.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.465)

Um zu diesen wunderbar gegliederten, der Reihe nach aufgeführten Schlußfolgerungen zu kommen, denen Bennett/Hacker als einzigen das Prädikat ‚Denken‘ zugestehen wollen, muß ich schon einen langen Denkprozeß hinter mich gebracht haben; und tatsächlich bin ich jetzt mit diesen Schlußfolgerungen mit meinem Denkprozeß zu einem Ende gekommen. Wo das Denken endet, kann man aber wohl kaum noch von einem Denken sprechen.

Wie man zu diesem Schluß gekommen ist – was ja das eigentliche Denken wäre –, interessiert Bennett/Hacker nicht; nur daß man es sagen kann, was sicher auch ein Denken ist, aber eben eine andere, nämlich sprachliche Form. Das vorsprachliche Denken besteht genau in dem, was Bennett/Hacker ein paar Sätze weiter so zum Ausdruck bringen: bevor man etwas auf Deutsch oder Englisch sagen kann, muß man „überhaupt erst einmal entscheiden ..., was man sagen will“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.465) Es gibt also einen vorsprachlichen Denkprozeß vor dem Sprechen, um so mehr, als Denken, wie Bennett/Hacker selber hervorheben, nicht darin besteht, etwas zu sich selbst zu sagen.

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Montag, 4. Mai 2015

Maxwell R. Bennett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 3/2015 (2003)

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 585 Seiten mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert, brosch., 49,90 €)

1. Zusammenfassung
2. Fachsprachliche und nichtfachsprachliche Begriffe
3. Denken und Sprechen
4. Phänomenologie und Sprachanalytik
5. Bindungsproblem (Gestaltwahrnehmung)
6. Innen-Außen-Differenz als Kryptokartesianismus
7. Qualia, Seele und das Arrangieren von Dingen
8. Gibt es Willensakte?
9. sprachanalytischer Reduktionismus

Bennett/Hacker bezeichnen die von ihnen praktizierte Methode bei der Kritik der philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften als „analytische Philosophie des Geistes“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.514) und führen diesen Ansatz auf den „von Wittgenstein angestoßenen ‚Linguistic Turn‘“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.516) zurück. Gemeinhin setzt man den Beginn dieser am Sprachgebrauch orientierten Denkschule mit Wittgensteins „Tractatus logico-philosophicus“ (1921) gleich. Man könnte allerdings noch ein paar Jahrzehnte weiter zurückgehen und den Beginn des linguistic turn mit Fritz Mauthners „Beiträge zu einer Kritik der Sprache“ (1901/2) ansetzen. (Vgl. meine Posts vom 12.10. vom 23.10.2013) Mauthners Sprachkritik nimmt schon alle wesentlichen Positionen der späteren, vor allem angelsächsischen Tradition der sprachanalytischen Philosophie vorweg und zeigt zugleich wegen der offensichtlichen Widersprüchlichkeiten in seiner Argumentation deutlich deren theoretischen Schwächen.

Die Priorität der sprachanalytischen Philosophie liegt Bennett/Hacker zufolge in der „Begriffsuntersuchung“: „Ihr konstruktives Hauptaugenmerk liegt auf der Klärung unserer Darstellungsform ... und mithin darauf, philosophische Probleme zu lösen und Begriffsverwirrungen zu beseitigen.() ... Sie untersucht und beschreibt die Sinngrenzen: das heißt die Grenzen dessen, was auf kohärente Weise gedacht und gesagt werden kann.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.541) – Kritisch wird die Sprachanalyse immer dort, wo sie feststellen muß, daß bei der Verwendung von Begriffen „Sinngrenzen“ überschritten wurden (vgl. ebenda), etwa wenn psychologische Prädikate, die sinnvoll nur auf menschliche Personen angewendet werden können, auf Teile dieser menschlichen Personen bezogen werden, z.B. auf das Gehirn. Solche mißbräuchlichen Verwendungen psychologischer Prädikate, z.B. Gefühls- und Willensäußerungen, bezeichnen Bennett/Hacker als „mereologischen Fehlschluss“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.94)

Das Kriterium, nach dem Bennett/Hacker beurteilen, ob die in den Neurowissenschaften verwendeten, die verschiedensten Bewußtseinszustände bezeichnenden Begriffe bzw. psychologischen Prädikate sinnvoll oder mißbräuchlich verwendet werden, bildet der Alltagssprachgebrauch, dem sie die Neurowissenschaftler ja auch entnommen haben. Beim alltagssprachlichen Gebrauch der Begriffe handelt es sich nicht um jeden beliebigen Gebrauch irgendeines zufälligen Sprechers, sondern um einen Standard, wie er in Grammatiken und Lexika kodifiziert ist: „Die Bedeutungen der Worte werden durch deren regelgeleiteten Gebrauch festgelegt, und sie werden von den durch die Sprechergemeinschaft als richtig anerkannten Bedeutungserklärungen bereitgestellt. Denn die Bedeutungserklärungen fungieren als Regeln oder Standards für den richtigen Gebrauch der betreffenden Ausdrücke.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.518f.)

Was „Sinn ergibt und was Unsinn ist“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.521), wird also nicht durch den Neurowissenschaftler festgelegt: „Die Bedeutungen dieser Ausdrücke, seien diese nun fachsprachliche oder nichtfachsprachliche, hängen nicht von den Überzeugungen des Hypothesenbildners ab.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.519)

Bennett/Hacker bestreiten keineswegs, daß die Neurowissenschaftler berechtigt sind, einen eigenen, fachsprachlichen Gebrauch für die von ihnen verwendeten alltagssprachlichen Begriffe in Anspruch zu nehmen: „Oft entsteht Unsinn, wenn ein Ausdruck entgegen den Regeln seines Gebrauchs verwendet wird. Der fragliche Ausdruck mag ein gewöhnlicher, nichtfachsprachlicher Ausdruck sein, in welchem Fall seine Gebrauchsregeln seiner Standardverwendung und den Erklärungen seiner Bedeutung ‚entnommen‘ werden können. Oder es kann ein fachsprachlicher Kunstausdruck sein; in diesem Fall müssen die Gebrauchsregeln seiner Einführung durch den Wissenschaftler entnommen werden und den Erklärungen, die dieser bezüglich der vorgegebenen Anwendung des Ausdrucks gibt.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.8)

Um einen eigenständigen, fachsprachlichen Gebrauch ihrer grundlegenden Begriffe zu gewährleisten, müßten die Neurowissenschaftler also untereinander neue „Bildungsregeln“ vereinbaren, und „die Bedingungen für die richtige Anwendung dieser innovativen Wendungen wären festzulegen und die logischen Implikationen ihrer Anwendung müssten ausbuchstabiert werden. Wäre das geleistet worden, hätten die einzelnen Worte dieser Wendungen natürlich nicht mehr ihre alte Bedeutung.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.522) – Genau diese Begriffsarbeit ist Bennett/Hacker zufolge von den Neurowissenschaftlern bislang versäumt worden.

Bennett/Hacker verstehen die Sprache als eine Form des menschlichen Verhaltens: als „Verbalverhalten“. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.105) Alle Aussagen über den Menschen als Person müssen sich mit Beobachtungen seines Verhalten verbinden lassen. Damit ist kein Behaviorismus gemeint, wie Bennett/Hacker beteuern. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.106, Anm. 147) Der Behaviorismus reduziert alles Lebendige auf Reflexe. Das Verhalten, das Bennett/Hacker meinen, impliziert hingegen keinen Reduktionismus, sondern im Gegenteil den Anspruch, die ganze Fülle des menschlichen Seins über das Verhalten in den Blick bekommen zu können. Empfindet etwa ein Mensch Trauer oder ist er mit der geistig anspruchsvollen Lösung eines mathematischen Problems beschäftigt, so äußert sich das für den Beobachter in seinem Verhalten, das er dabei an den Tag legt. Die psychologischen Prädikate ‚Trauer‘ und ‚schlußfolgerndes Denken‘ sind allererst mit diesem beobachtbaren Verhalten verknüpft und verleihen den entsprechenden verbalen Äußerungen der betreffenden Personen über ihren Zustand Plausibilität. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.106f.)

Es ist genau dieses Verhalten, daß die Person als lebendiges Wesen von ihren verschiedenen Organen unterscheidet. Das Gehirn legt in keinem seiner neuronalen Prozesse irgendein Trauerverhalten an den Tag, und es gebärdet sich auch nicht wie jemand, der sich über ein mathematisches Problem beugt, das er lösen will: „Wir erkennen, wenn eine Person eine Frage stellt oder wenn eine andere ihr antwortet. Haben wir jedoch irgendeine Vorstellung davon, worum es sich bei einem Fragen stellenden oder beantwortenden Gehirn handeln würde? Bei all dem haben wir es mit Attributen menschlicher Wesen zu tun.“ (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.90)

Die kriterielle Verknüpfung von Bewußtseins- und Empfindungszuständen mit dem Verhalten einer Person begründet bei Bennett/Hacker keine Abduktionslogik, wie wir sie im Rahmen dieses Blogs bei Michael Tomasello kennengelernt haben. (Vgl. meinen Post vom 29.10.2014) Bei der Abduktionslogik geht es um den Rückschluß von etwas Sichtbarem und Beobachtbaren auf etwas Unsichtbares, also etwa auf das Innere einer Person, das außer von dieser Person für niemanden sonst sichtbar ist.. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.113f.) Bennett/Hacker zufolge gibt es aber so etwas wie einen privilegierten ‚Zugang‘ zu einem persönlichen Inneren nicht, weil es dieses Innere nicht gibt. Es ist ausschließlich das mit beobachtbarem Verhalten verknüpfte Sprachverhalten der menschlichen Person, das den psychologischen Prädikaten Sinn verleiht, nicht ihre angeblich unbeobachtbaren inneren Zustände.

Das Verbalverhalten ist zugleich das Kriterium, das den Menschen von den Tieren unterscheidet und menschliches Selbstbewußtsein ermöglicht: „Gewiss gibt es so etwas wie Selbstbewusstsein im philosophischen Sinne des Ausdrucks, dabei handelt es sich jedoch nicht um ein Bewusstsein von einem ‚Selbst‘, sondern um eine den Menschen allein auszeichnende Fähigkeit zu reflexivem Denken und Wissen, die mit dem Sprachbesitz steht und fällt.“ (Bennett/Hacker 3/2015, S.438)

Es gibt Bennett/Hacker zufolge so wenig ein vorsprachliches Selbstbewußtsein wie es ein vorsprachliches, bildhaftes Denken gibt. Sie argumentieren dabei entschieden gegen anderslautende Selbstzeugnisse von ‚Denkern‘ wie Einstein, Hadamard und Penrose. „Zeigt das nicht“, fragen sie mit Bezug auf diese Selbstzeugnisse rhetorisch, „dass man in Bildern denkt und seine Gedanken dann in Sprache übersetzt?“ – Und sie antworten selbst: „Das tut es nicht.“ (Vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.466) Dabei verirren sie sich in eine verworrene Wortklauberei, aus dem der Leser nicht so recht schlau zu werden vermag: „Es zeigt, dass die Beschreibung dessen, was einem beim Denken durch den Kopf geht, normalerweise weder eine Beschreibung seines Denkens ist noch dessen, was man denkt. Was man denkt, ist nicht das, was einem während des Denkens in der Vorstellung präsent ist, von Fällen abgesehen, in denen das, was man zu sich selbst sagt, das ist, was man denkt. Und eine Beschreibung dessen, was einem während des Denkens durch den Kopf geht, ist keine Beschreibung des eigenen Denkens.“ (Ebenda)

Diese wirklich verworrenen Behauptungen, die man wohl kaum als klare und zusammenhängende Argumentation bezeichnen kann, stellen ein beredtes Zeugnis gegen Bennett/Hackers überzogene Ansprüche dar hinsichtlich dessen, was man sagen kann und was man nicht sagen kann. Ihre Behauptung, daß ihre Analysen und ihre Kritik durch die „Standardverwendung“ von Begriffen belegt und autorisiert werde, erweist sich letztlich als ein untauglicher Versuch, davon abzulenken, daß sie ihren Analysen immer wieder nur ihr eigenes subjektives Sprachgefühl zugrundelegen.

Das ganze umfangreiche Buch ist praktisch auf jeder Seite voll von ständig wiederholten, den Leser ermüdenden  Phrasen der folgenden Art: „Es ist abwegig, zu sagen ...“, „Es ist unsinnig, zu sagen ...“, „Es ist verworren, zu sagen ...“ – Diese Behauptungen werden immer wieder ergänzt durch Fußnoten und Anmerkungen, in denen der Übersetzer Axel Walter noch einmal zu erklären versucht, was Bennett/Hacker an dieser Stelle möglicherweise gemeint haben könnten. Und das liegt sicher nicht nur daran, daß es im Deutschen bestimmte Redewendungen nicht gibt und wir es also mit einem vom Englischen abweichenden Sprachgebrauch zu tun haben. Letztlich sind es nicht nur die Neurowissenschaftler, sondern auch Bennett/Hacker selbst, die gelegentlich einfach eine verworrene Vorstellung davon haben, was man sagen kann und was nicht.

Dabei bildet aber das Hauptproblem der Benntt/Hackerschen Analysen, daß sie nur zwischen alltagsprachlichen und fachsprachlichen Begriffen unterscheiden. Es fehlt jeder Hinweis auf die eigenständige Funktion von Metaphern bei der Begriffsbildung. Es ist zwar von gewissen „polymorphen“ Verben und von polymorphen Begriffen als „Variationszentren“ der Sinn und Bedeutungsbildung die Rede (vgl. Bennett/Hacker 3/2015, S.237 und 341f.), aber der nicht-begriffliche, im Wesentlichen metaphorische Status dieser Worte wird nirgendwo thematisiert. So berechtigt das gegen die neurowissenschaftlichen Begriffsverwirrungen gerichtete Anliegen von Bennett/Hacker also ist und obwohl sie auch immer wieder beeindruckende Ergebnisse ihrer Analysen vorzuweisen haben, greift ihr sprachanalytisches Vorgehen doch insgesamt zu kurz. Darauf wird in den folgenden Posts noch zurückzukommen sein.

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Sonntag, 3. Mai 2015

Maxwell R. Bennett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, Darmstadt 3/2015 (2003)

(Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 585 Seiten mit einem Vorwort von Annemarie Gethmann-Siefert, brosch., 49,90 €)

1. Zusammenfassung
2. Fachsprachliche und nichtfachsprachliche Begriffe
3. Denken und Sprechen
4. Phänomenologie und Sprachanalytik
5. Bindungsproblem (Gestaltwahrnehmung)
6. Innen-Außen-Differenz als Kryptokartesianismus
7. Qualia, Seele und das Arrangieren von Dingen
8. Gibt es Willensakte?
9. sprachanalytischer Reduktionismus

Der Neurowissenschaftler Maxwell R. Bennett und der Philosoph Peter M.S. Hacker legten 2003 mit ihrem Buch „Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften“ (3/2015) eine sprachanalytische Kritik der neurowissenschaftlichen Begriffe vor. Diese sprachanalytische Kritik orientiert sich am sinnvollen Gebrauch alltagssprachlicher Begriffe wie Selbstbewußtsein, Wille, Gedächtnis, Lernen, Liebe und Eifersucht, deren unmittelbare Zuordnung zu neuronalen Prozessen im Gehirn ihrem polymorphen Bedeutungsgehalt nicht gerecht wird. Wenn der Begriff des Denkens sich über mindestens acht verschiedene Bedeutungsfelder erstreckt – konzentriertes Denken; scharfsinniges Denken; nachdenken, einen Gedanken zu Ende denken; glauben, annehmen, vermuten; wiedererkennen; vergleichen, interpretieren; etwas meinen; Problemlösen (vgl. Bennett/Hacker 3/2105, S.233ff. und Tafel I) – und dann in einem neurowissenschaftlichen Experiment die Probanden aufgefordert werden, an ihre Ehefrau zu denken (vgl. Bennett/Hacker 3/2105, S.236), und die dabei auftretenden Gehirnprozesse mit ‚Denken‘ gleichgesetzt werden, wird deutlich, wie unterkomplex und deshalb unangemessen die nach diesem Muster konzipierten Experimente tatsächlich sind.

Im alltäglichen Gebrauch bilden alle diese das Bewußtseinsfeld abdeckenden Begriffe (vgl. Tafeln I-III) „Variationszentren“ von Bedeutungsintuitionen, die nicht als trennscharfe begriffliche Kategorien mißverstanden werden dürfen. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2105, S.341) Im alltäglichen Gebrauch überschneiden sich vielmehr ihre Sinnbereiche, und ihre Bedeutungen verändern sich mit den Situationen, in denen wir sie verwenden.

Indem Neurowissenschaftler diesen alltagssprachlichen Gebrauch von für ihre Experimente zentralen Begriffsbeständen ignorieren und einzelne Begriffe, ohne Einschränkung und ohne sie für spezifische Experimente begrifflich zu modifizieren, auf Gehirnprozesse übertragen, werden sie sinnlos. Bezogen auf Gehirnprozesse machen die im Alltagssprachgebrauch sinnhaften Begriffe wie Bewußtsein oder Gedächtnis einfach keinen Sinn.

Bennett/Hacker führen diese mißbräuchliche Verwendung von alltagssprachlichen Begriffen auf einen verbreiteten, den Neurowissenschaftlern selbst nicht bewußten „Krypto-Cartesianismus“ zurück. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2105, S.110-115, 145-149, 315-318) Der Cartesianismus besteht darin, den Menschen in eine innere Substanz, dem Denken, und in eine äußere Substanz, dem Körper, aufzuteilen. Dabei umfaßt das Denken alle Arten von Bewußtseinszuständen, von den Gefühlen und Affekten bis hin zu logischem rationalem Schlußfolgern, während Descartes den Körper als einen rein mechanischen Apparat auffaßte. (Vgl. Bennett/Hacker 3/2105, S.33)

Die Gegenposition zu dieser dualistischen Auffassung machen Bennett/Hacker an Aristoteles fest. Aristoteles unterschied nicht zwischen Körper und Geist bzw. zwischen Leib und Seele. ‚Seele‘ war für Aristoteles vielmehr das Wort für das unzerteilbare Ganze der menschlichen Person. Die Seele bzw. die Psyche steht bei Aristoteles für die Einheit von Form und Materie: es gibt keine ungeformte Materie, so wenig wie es eine immaterielle Form gibt: „Man sollte sich klarmachen, dass, obwohl von irgendwie gearteten Einzeldingen gesagt wird, sie seien beides, Form und Materie, es sich bei Form und Materie nicht um die Teile einer Sache handelt.“ (Bennett/Hacker 3/2105, S.16) – Genauso wenig wie es eine von der Materie abspaltbare Form gibt, gibt es ein vom Körper abspaltbares geistiges Prinzip, das für die Denkprozesse zuständig ist und das die Willensentscheidungen trifft, aufgrund deren dann der Körper als bloßes ausführendes Organ tätig wird. Denk- und Entscheidungsprozesse bilden keine von der lebendigen Person abspaltbaren und isolierbaren Funktionen.


Deshalb kann man im alltäglichen Sprachgebrauch auch nicht sagen, daß es das Gehirn ist, das etwas Bestimmtes denkt, so als könnte man auf die Frage „Was denkst du?“ antworten: „Moment! Mein Gehirn ist noch nicht mit Denken fertig, so daß ich jetzt noch nicht sagen kann, was es denkt.“ – Der denkende Mensch weiß immer unmittelbar – so Bennett/Hacker –, was er gerade denkt, und kann es auch jederzeit in Worten ausdrücken: „Es sind die Menschen, die denken, und ihr Denken wird nicht von ihren Gehirnen vollzogen – sie müssen ihr Denken selbst vollziehen ... . Es gibt nichts dergleichen wie Gehirne, die irgendetwas denken – obwohl menschliche Wesen selbstverständlich nicht in der Lage wären zu denken, wenn ihre Gehirne nicht normal funktionieren würden.“ (Bennett/Hacker 3/2105, S.57)

Genau an diesem mereologischen Fehlschluß (vgl. Bennett/Hacker 3/2105, S.94), der Verwechslung des Ganzen, eben des lebendigen Menschen, mit einem seiner Teile, dem Gehirn, machen Bennett/Hacker den heimlichen Kartesianismus, den „Krypto-Cartesianismus“ der Neurowissenschaftler fest. Zwar teilen sie nicht mehr wie Descartes den Menschen in zwei verschiedene Substanzen auf – weshalb sie von sich selbst glauben, den Kartesianismus überwunden zu haben –, aber sie verstehen das Gehirn als eine eigenständige, von der äußeren Welt abgetrennte innere Welt, von der aus der Rest des Organismusses ohne ‚unser‘ Wissen gesteuert und kontrolliert wird. Sie setzen also einen Teil des Menschen, das Gehirn, an die Stelle des Ganzen: der mereologische Fehlschluß.


Weite Teile des Buches bestehen darin, daß Bennett/Hacker gleichermaßen umfängliche wie unvollständige Skizzen zu den grundlegenden Alltagsbegriffen anlegen (Vgl. Tafel I-III), die von den Neurowissenschaftlern sinnwidrig auf ihre Experimente übertragen werden. Trotz deren sich über einige hundert Seiten erstreckenden Umfangs legen Bennett/Hacker darauf Wert, daß sie unvollständig sind, eben nur Skizzen: „Bei den von uns vorgelegten Beschreibungen handelt es sich lediglich um Skizzen. Die begrifflichen Zusammenhänge sind komplexer als wir hier zeigen konnten. Eine detaillierte Abhandlung würde freilich in ein sehr umfangreiches Buch münden. ... Sie sollen die Neurowissenschaftler an die Alltagsbegriffe erinnern, die sie selbst ständig ins Feld führen, wenn sie ihre Experimente entwerfen und deren Resultate beschreiben.“ (Bennett/Hacker 3/2105, S.314)

Bennett/Hackers Hoffnung besteht also darin, daß ihre Begriffsskizzen den Neurowissenschaftlern so einerseits eine Einsicht in die Komplexität des alltagssprachlichen Gebrauchs von Begriffen vermitteln, und sie außerdem dazu motivieren, sich für ihre Experimente Glossare anzulegen, in denen sie den Bedeutungsumfang der zentralen, den jeweiligen Experimenten zugrundeliegenden Begriffe klären. (Bennett/Hacker 3/2105, S.522) Wenn man bedenkt, daß Bennett/Hacker ihr Buch 2003 geschrieben haben, und sieht, wie die Neurowissenschaftler sich seitdem in der Öffentlichkeit präsentiert haben, muß man nüchtern festhalten, daß sich ihre Hoffnung eher nicht erfüllt hat, auch wenn derzeit unter Neurowissenschaftlern eine gewisse neue Bescheidenheit angesagt zu sein scheint.

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