„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Dienstag, 14. Oktober 2014

Lee Smolin, Im Universum der Zeit. Auf dem Weg zu einem neuen Verständnis des Kosmos, München 2014 (2013)

1. Kosmologische natürliche Selektion
2. Des Kaisers neue Kleider
3. Sich zeigen und sich verbergen
4. Effektive Theorien
5. Mathematik als Platonismus
6. Das Universum als Totalität
7. Informationstheorie statt Physik
8. Ethik

Sowohl bei der Relativitätstheorie als auch bei der Quantentheorie spielt der Beobachter die wesentliche Rolle, sowohl in der Theorie wie auch bei den Experimenten. Auf die Rolle des Beobachters in der Relativitätstheorie bin ich schon eingegangen. (Vgl. meinen Post vom 10.10.2014) Dabei war es um den Status der Zeit gegangen: um die Relativität der Gleichzeitigkeit und um den Primat der Kausalität. Bei der Quantentheorie geht es vor allem um das Messen von Quantenzuständen, bei denen es der Meßvorgang selbst ist bzw. eben der Beobachter, der über den Teilchencharakter oder Wellencharakter eines Quantenereignisses entscheidet.

Schon dieser fundamentale Status des Beobachters impliziert, daß wir es in der Physik nicht mehr mit den physikalischen Ereignissen selbst, sondern nur noch mit ‚Informationen‘ zu tun haben, also mit Daten, die den Filter eines Meßvorgangs passiert haben. Anders als bei den Wurfgesetzen von Tennisbällen (vgl. Smolin 2014, S.72) fehlt hier die Anschauung des Phänomens: „Wie ich schon bemerkt habe, beschreibt die Quantenmechanik Phänomene, die nicht visualisiert werden können.“ (Smolin 2014, S.129)

Bei der Quantentheorie kommt noch hinzu, daß es sich dabei nicht einmal mehr um die Daten eines einzelnen, experimentell kontrollierten Ereignisses handelt, sondern um Wahrscheinlichkeiten, die aus einer Vielzahl von Experimenten ermittelt werden müssen. Das widerspricht den normalerweise geltenden Standards in der Physik, die eine präzise Beschreibung von lokalisierbaren Ereignissen erfordern: „Die genaueste Beschreibung, die man von dem Atom geben könnte, würde darin bestehen, dass man sagt, wo jedes Elektron sich befindet.“ (Smolin 2014, S.126)

Subatomare Prozesse lassen sich aber nicht auf diese Weise lokalisieren. Sie sind prinzipiell unscharf. Es lassen sich nur probabilistische Aussagen über ihren jeweiligen Ort und ihre jeweilige Zeit machen. Um also zu brauchbaren Ergebnissen zu kommen, müssen die Experimente so oft wiederholt werden, bis statistische Daten über den jeweiligen Aufenthaltsort der Elektronen zusammengestellt werden können. Smolin vergleicht das mit dem Werfen einer Münze: „Man muss eine Münze viele Male werfen und registrieren, wie groß der Anteil der Kopfwürfe ist. Je öfter man wirft, umso mehr wird der Anteil der Kopfwürfe zu 50 Prozent hin tendieren. Dasselbe gilt für die probabilistischen Vorhersagen der Quantenmechanik: Um sie zu bestätigen, muss man ein Experiment viele Male durchführen.()“ (Smolin 2014, S.126)

In der Quantenmechanik werden die Experimente also nicht etwa deshalb wiederholt, weil damit das singuläre Ergebnis eines vorangegangenen Experimentes bestätigt werden soll, sondern um überhaupt allererst zu Daten zu kommen. Die Quantenmechanik bildet also weniger eine physikalische Theorie und Methode, als vielmehr einen Algorithmus für die Informationsverarbeitung. (Vgl. Smolin 2014, S.221) So hat es auch Niels Bohr gesehen:
„Niels Bohr, einer der Begründer der Quantentheorie, behauptete, dass diejenigen, die in diesem Sinne enttäuscht waren (nämlich daß die Physik „ein Bild von der Welt“ zu geben habe, „das wir für wahr halten können“ – DZ), eine falsche Vorstellung über den Zweck der Naturwissenschaft hatten. Das Problem, so Bohr, hat nichts mit der Theorie zu tun, sondern damit, was wir von einer Theorie erwarten. Bohr verkündete, dass der Zweck einer wissenschaftlichen Theorie nicht in der Beschreibung der Natur bestehe, sondern darin, uns Regeln an die Hand zu geben, um Dinge in der Welt zu manipulieren, und eine Sprache, mit der wir miteinander über die Ergebnisse solcher Manipulationen sprechen können.“ (Smolin 2014, S.125)
Smolin wendet sich entschieden gegen eine solche informationstheoretische Auffassung von der Physik: „Ich glaube, dass es eine objektive, physikalische Wirklichkeit gibt und dass etwas Beschreibbares geschieht, wenn ein Elektron von einer Energieebene eines Atoms auf eine andere springt. Folglich suche ich nach einer Theorie, um diese Beschreibung zu geben.“ (Smolin 2014, S.221)

Ob es eine solche physikalische Theorie, wie sie Smolin vorschwebt, nun geben kann oder nicht, muß vorläufig offen bleiben. Wichtiger ist mir an dieser Stelle der Hinweis darauf, daß die Quantenmechanik nur eine ‚Sprache‘ bildet, mit der sich an Technologien interessierte Ingenieure über subatomare Prozesse verständigen. Das bestätigt ein weiteres Mal, daß wir in einer Welt leben, die nur noch funktioniert, die aber keiner mehr versteht. Und daß sie noch funktioniert, ist keinerlei Garantie dafür, daß das auch weiterhin der Fall sein wird.

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