„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Dienstag, 29. Juli 2014

Klaus Mainzer, Die Berechnung der Welt. Von der Weltformel zu Big Data, München 2014

(Verlag C.H. Beck, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, geb. 24,95 €, S.352)

1. Methode und These I
2. Methode und These II
3. Sätze und Formeln
4. Zelluläre Automaten und der Strukturalismus
5. Superpositionen, Metaphern und Intuitionen
6. Semantik
7. Anthropologie

Sätze sind immer schon welthaltig. Die Wörter, aus denen sie bestehen, bilden Prädikate, die auf eine Außenwelt verweisen, die das Subjekt zu diesen Prädikaten ist. Aufgrund dieser Subjekt-Prädikat-Struktur brauchen Sätze auch nicht vollständig zu sein, weil sie in unserer Alltagskommunikation immer schon in einen Kontext eingebettet sind, der unsere Sprechakte ergänzt und vervollständigt. (Vgl. meinen Post vom 19.10.2013)

Formeln hingegen sind weltlos. Sie basieren zumeist nicht auf Wörtern, sondern auf Zahlen. Wenn sie nicht auf Zahlen basieren, sondern aus Wörtern zusammengesetzt sind, müssen sie vollständig und widerspruchsfrei sein und auf Axiome zurückgeführt werden können, die nicht auf „Intuition, Evidenz oder Anschauung“ beruhen, sondern drei formale Kriterien erfüllen müssen: dazu zählt neben der gerade eben erwähnten Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit noch die Unabhängigkeit. ‚Unabhängigkeit‘ bedeutet, daß die Axiome aus keinem anderen Axiom ableitbar sind und noch nicht einmal von den anderen Axiomen desselben mathematischen Systems abhängig sein dürfen. So ist das Parallelaxiom der Euklidischen Geometrie nicht auf die sphärische Geometrie übertragbar, die meisten anderen Axiome der Euklidischen Geometrie hingegen schon. (Vgl. Mainzer 2014, S.60f.)

Die Formeln und Sätze, die ich zu diesem ominösen Parallelaxiom zu lesen bekomme, ob nun von Klaus Mainzer oder bei Wikipedia, verstehe ich übrigens nicht und sind ein Beispiel für unnötig umständlich formulierte Definitionen. Ich hatte bisher das Parallelaxiom immer als die Aussage verstanden, daß sich zwei parallele Geraden im Unendlichen treffen. Und diese Formulierung trifft gleichermaßen für die sphärische und die Euklidische Geometrie zu. Bei Wikipedia gibt es dazu noch komplizierte Winkelangaben, die für mein Empfinden gar nichts mit Parallelen zu tun haben.

Als umständlich empfinde ich auch Mainzers Definition des „einfachste(n) Gesetz(es) der Arithmetik, das dem Zählen zugrunde liegt“: „(a) Beginne mit 1. (b) Wenn bis zur Zahl n gezählt ist, addiere 1 zu n hinzu. Durch sukzessive Anwendung dieser Regel entsteht die unendliche Folge 1, 1+1, 1+1+1, ... die den bekannten Symbolen der natürlichen Zahlen 1, 2, 3, ... entspricht.“ (Mainzer 2014, S.22; Auslassungen von Mainzer) – Warum diese umständliche Ausdrucksweise? Der zweite Teil (b) der Definition läßt sich auch einfacher ausdrücken: „(b) Füge in der Folge fortlaufend 1 hinzu.“

Ich habe ziemlich lange über Mainzers Erläuterungen zum Gödelschen Unvollständigkeitsbeweis gebrütet, bis ich endlich verstanden habe, wo das Problem liegt. (Vgl. Mainzer 2014, S.69ff.) Die Formel selbst habe ich selbstverständlich überhaupt nicht verstanden, weshalb ich auch nicht lange darüber nachgedacht habe. Wirkliche Verstehensprobleme hatte ich hingegen mit dem Beispiel, das Mainzer zur Erläuterung der Formel verwendet. Dabei geht es darum, daß Gödel mathematisch bewiesen hat, daß es kein logisches System gibt, das vollständig ist, weil sich immer Sätze finden bzw. einfügen lassen, die sich nicht als wahr oder falsch entscheiden lassen. Wenn sich aber nicht alle Sätze als wahr oder falsch entscheiden lassen, dann ist ein logisches System auch nicht vollständig.

Nun kann man anscheinend jedes logische System mit selbstbezüglichen Aussagen von der Art des Lügnerparadoxons sturmreif schießen: „Selbstbezügliche Aussagen sind Aussagen über Aussagen, die über sich selbst etwas aussagen. Ein Beispiel ist die Antinomie vom Lügner, wonach die Aussage ‚Ich spreche jetzt nicht die Wahrheit‘ weder wahr noch falsch sein kann: Wäre sie wahr, so würde ich jetzt nicht die Wahrheit sprechen. Da das aber ein Lügner sagt, würde ich doch die Wahrheit sagen und die Aussage wäre falsch. Wäre die Aussage aber falsch, dann würde ich die Wahrheit sagen. Da das aber ein Lügner sagt, würde ich doch nicht die Wahrheit sagen und die Aussage wäre wahr.“ (Mainzer 2014, S.70)

Schon die Formulierung „Selbstbezügliche Aussagen sind Aussagen über Aussagen, die über sich selbst etwas aussagen“, ist unnötig iterativ. Selbstbezügliche Aussagen sind einfach Aussagen über sich selbst. Mehr nicht. Was mich aber an diesem Beispiel, so oft ich es las und mit Freunden diskutierte, immer wieder besonders irritierte, war, daß der Lügner in diesem Beispiel völlig überflüssig ist, da die Aussage für sich schon unentscheidbar ist. Wenn eine Aussage über sich selbst die Unwahrheit behauptet, dann ist ihre Wahrheit oder Falschheit als solche schon unentscheidbar, unabhängig davon, ob es ein Lügner oder Wahrheitsfreund ist, der sie macht. Da Mainzer aber in diesem Beispiel gleich zweimal darauf hinweist, daß es genau auf diesen Lügner ankommt – „Da das aber ein Lügner sagt ...“ –, muß seine Funktion in diesem Beispiel wohl mehr sein als bloß eine narrative Zutat.

Zwischenzeitlich behalf ich mir dann mit der Hypothese, daß der ‚Lügner‘ für eine andere logische Ebene steht, von der aus die Unentscheidbarkeit von wahren Aussagen nachweisbar wird, im Sinne der von Mainzer an späterer Stelle angesprochenen „Theorieprogression“. (Vgl. Mainzer 2014, S.85) Mainzer zufolge hatte Gödels Unvollständigkeitsbeweis eine Revision von Beweisverfahren bewirkt. Von nun an galten mathematische Beweise nicht mehr als absolut, sondern nur noch als relativ wahr; relativ nämlich zum jeweiligen Stand der Theorieentwicklung. Da sich für jede Theorie unentscheidbare Sätze finden lassen, müssen sie ständig erweitert werden und in neue ‚stärkere‘ bzw. ‚reichhaltigere‘ Theorien überführt werden, ad infinitum.

Ich vermutete also, daß Mainzer mit dem Beharren darauf, daß ein Lügner diese Aussage macht, einen Hinweis darauf geben will, daß mathematische Theorien immer nur von anderen formalen Ebenen (‚Erweiterungen‘) aus widerlegt werden können. Aber auch diese Vermutung half mir nicht viel weiter. Denn wenn ein logisches System aus sich selbst heraus nicht widerlegbar ist, so ist es meinem laienhaften Verständnis nach widerspruchsfrei und vollständig. Denn logische Systeme gelten immer nur für sich selbst und können eigentlich nicht von anderen logischen Systemen her widerlegt werden.

Aber letztlich hätte ich mir alle diese Verwirrungen ersparen können. Denn endlich begriff ich, daß die Aussage des ‚Lügners‘ noch gar nicht als Aussage gemeint ist, sondern als Ankündigung einer Aussage. Mit „jetzt“ ist nicht das ‚Jetzt‘ der aktuellen Aussage gemeint, sondern das ‚Gleich‘ einer in dieser Beispielerzählung noch ausstehenden Aussage!

Die Probleme, die ich mit diesem Lügnerparadoxon hatte, sind ein Beispiel dafür, wie Sätze funktionieren. Sätze sind immer vieldeutig. Manchmal sind sie auch unnötig umständlich und verleiten einen dazu, dieser Umständlichkeit noch einmal einen besonderen Sinn zu geben. Sätze sind letztlich relativ ungeeignet, um sie als Formeln zu verwenden. Hätte Mainzer es einfach bei der Ankündigung des Lügners belassen und sie selbst schon als Aussage genommen, ohne den Lügner zu erwähnen, hätte ich nicht diese Probleme damit gehabt.

Ich vermute, ich leide an einer Art ‚Formelblindheit‘, die der Gesichtsblindheit entspricht. Auch Menschen, die gesichtsblind sind, können Gegenstände erkennen. Sie erkennen also Gestalten und Muster, nur eben nicht Gesichter. So ergeht es mir mit Formeln. Was Formeln beschreiben, die Muster und Gesetzmäßigkeiten also, verstehe ich durchaus, wenn sie nur in wohlgeformten, d.h. nicht unnötig umständlich formulierten Sätzen dargestellt werden. Nur die Formeln verstehe ich einfach nicht. Mainzers Verdikt ist in diesem Zusammenhang eindeutig: „Wer die Sprache der Mathematik nicht versteht, kann diese Welt nicht verstehen.“ (Mainzer 2014, S.260)

Dem halte ich entgegen: Beweisverfahren, die ich nicht verstehe, sind keine Beweisverfahren! Die ihnen zugrundeliegenden Thesen bleiben prinzipiell so lange unbewiesen, bis ich sie auf irgendeine Weise verstehe. Kurz: Beweisverfahren sind nicht an Formeln gebunden, sondern an meinen Verstand. Beim Lesen von Mainzers Buch bin ich deshalb so vorgegangen, daß ich in Formeln dargestellte Beweisverfahren als eine Art Orakelmaschine hinnahm, die ich, soweit sie ‚in dieser Welt‘ technisch angewendet werden, gelten lasse, ohne sie glauben zu müssen.

‚In dieser Welt‘ gelten die Formeln aber eben nur, weil sie, wie schon erwähnt, auf Zahlen basieren. Auch Mainzer fragt sich, wie es kommt, daß „die Mathematik so gut auf die Welt (passt)“? (Vgl. Mainzer 2014, S.275ff.) Er liefert eine verblüffende Antwort: Gerade weil sie so abstrakt ist und deshalb die welthaltige Mannigfaltigkeit nicht berücksichtigt! So zumindestens verstehe ich Mainzers diesbezüglichen Äußerungen zum Zahlbegriff. (Vgl. Mainzer 2014, S.276)

Zahlen abstrahieren von „Symbolen und Gegenständen“. Anders als Wörter verweisen Zahlen nicht auf die Äpfel und Birnen, die sie zählen: „Eine (natürliche) Zahl ist also eine Abstraktion. Sie umfasst alle Mengen von Dingen, die einander umkehrbar-eindeutig zugeordnet sind.“ (Mainzer 2014, S.276)

Mainzer ergänzt, daß Zahlen sogar irreale Gegenstände zählen können, die nur in der Vorstellung existieren, wie z.B. Einhörner. Zum Zahlenraum gehören also auch „gedankliche Vorstellungen“, und es wird dabei kein Unterschied zwischen fiktiv oder real, zwischen innen oder außen gemacht, eine Differenz, die für die Subjekt-Prädikat-Struktur von Sätzen unverzichtbar ist und auf der auch das menschliche Bewußtsein basiert. Plessner bezeichnet das als Doppelaspektivität, und sie bildet zusammen mit der exzentrischen Positionalität einen Grundbegriff seiner Anthropologie.

Dann macht Mainzer noch eine weitere, für mich alles entscheidende Feststellung: „Im strengen logischen Sinn einer Abstraktion sind sie (die Zahlen – DZ) auch keine Gedanken, da wir auch davon abstrahieren.“ (Mainzer 2014, S.276)

Wenn Zahlen also keine Gedanken sind, dann sind sie auch unabhängig vom menschlichen Bewußtsein. Und das ist der Grund, warum auch Maschinen mit ihnen rechnen können!

Wir haben also allen Grund, nicht etwa unseren Intuitionen, sondern den Zahlen zu mißtrauen. Zumindestens dann, wenn sie den Bereich lebensweltlicher, anschaulicher Zuordnungen verlassen. Die Welt, in der Zahlen gültig sind, ist nicht die Lebenswelt des Menschen: „Die Mathematik hat es mit Gegenständen zu tun, die buchstäblich nicht von dieser Welt (gemeint ist, die mit unseren Sinnen wahrnehmbare physische Welt) sind. ... Zahlen mögen im Umgang mit Dingen der wahrnehmbaren Welt entstanden sein. Aber Wahrheiten über die Welt der Zahlen sind logisch unabhängig von Raum und Zeit der physischen Welt.“ (Mainzer 2014, S.276)

Mainzers Satz – „Wer die Sprache der Mathematik nicht versteht, kann diese Welt nicht verstehen.“ – bezieht sich also gar nicht auf die menschliche Lebenswelt, sondern auf eine Alien-Welt, die nur die verstehen, die den Zahlenraum „jenseits menschlicher Erfahrung in Raum und Zeit“ miteinander teilen. (Vgl. Mainzer 2014, S.277)

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3 Kommentare:

  1. Nun gut, als Rheinländer sehe ich es flexibel. Lässt wordpress nur 4096 Zeichen als Kommentar zu, dann gibt es also zwei Teile. Hier ist der erste Teil:

    Mainzer erzeugt zustimmendes Kopfnicken. Er ist beredt, lässt seinen Gesprächspartnern kaum eine Lücke (z.B. Die Digitalisierung der Arbeit) und demonstriert seinen großen Überblick über die Wissenschaftstheorie. Entsprechend groß waren meine Erwartungen an den Autor, als er sich in seinem Buch zu „Big Data” äußerte. Bislang habe ich Big Data als Buzzword erfahren. Buzzword im Sinne von Brummwort, weil es unerträglich lärmt, ohne eine Nachricht zu übertragen. Buzzword nicht im Sinne von Schlüsselwort; es erschließt nichts. Überbewertet, als Heilsbringer emotionalisiert und unscharf definiert widersetzt sich Big Data einer ernsthaften Betrachtung. Ich hoffte, dass Mainzer das Thema mit den ihm vertrauten Methoden souverän angehen würde: Beginnend mit einer brauchbaren Definition und endend mit einer kritischen Bewertung.

    Schriftsprache unterscheidet sich vom gesprochenen Wort. „Die wenigsten haben leider noch den langen Atem, um ein Buch von vorne bis hinten zu lesen.” (Mainzer 2014, S.14). Häufig kann ich mich zu den „wenigsten” zählen. Bei Mainzer jedoch reihe ich mich in die Masse ein. Während nämlich gesprochene Worte unaufhaltsam fließen, kann ich im gedruckten Text innehalten, zurückblättern und erneut denselben Text mit anderen Augen lesen. Wie mich bei Mainzer dieser Prozess quält, möchte ich an einem der Absätze veranschaulichen, mit dem auch der Blogger Detlef Zöllner (siehe oben) gekämpft hat:

    Big Data wird mit Zahlen dargestellt. Big Data mag heute und zukünftig unvostellbar große Zahlen verarbeiten. Diese Anwendungen sind aber nur ein Bruchteil der unendlichen mathematischen Welt der Zahlen, die in der Zahlentheorie axiomatisch beschrieben wird. Hier sehen wir per excellence, was Gesetzeserkenntnis durch Datenkompression und Reduktion von Komplexität bedeuten. Schon das einfachste Gesetz der Arithmetik, das dem Zählen zugrunde liegt, kondensiert die unendliche Folgeder natürlichen Zahlen 1, 2, 3, … in eine einfache Regel aus unendlich vielen Symbolen: (a) Beginne mit 1. (b) Wenn bis zur Zahl n gezählt ist, addiere 1 zu n hinzu. Durch sukzessive Anwendung dieser Regel entsteht die unendliche Folge 1, 1+1, 1+1+1, …, die den bekannten Symbolen der natürlichen Zahlen 1, 2, 3, … entspricht.” (Mainzer 2014, S.22)

    Das, was Mainzer als „das einfachste Gesetz der Arithmetik” bezeichnet, ist eine simplifizierte Version der Peano-Axiome. Ihre Formulierung ist nicht naheliegend. Schließlich genoss die Arithmetik bereits mehr als 2000 Jahre den Status einer Hilfswissenschaft und immer noch konnte sie die Frage „Was ist 3?” lediglich durch das Zeigen dreier Finger einer Hand beantworten. Ebenso gut hätte man auch drei Steine auf den Tisch legen können. Die Finger waren jedoch das bevorzugte Mittel und so wurden die Ziffern (Digit, digital, …) nach ihnen benannt. Verwendet werden in beiden Fällen Gruppen physikalischer Objekte. Das bindet den Zahlbegriff an die reale Welt und ordnet die Arithmetik als Hilfswissenschaft den Naturwissenschaften unter. Noch wenige Jahrzehnte vor Giuseppe Peano hatte Leopold Kronecker vor dem Versuch kapituliert, Zahlen zu definieren: „Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.“ Die Peano Axiome, die von der Natur unabhängig sind und etwas definieren, das sich wie Zahlen verhält, promovierten die Mathematik zu einer Wissenschaft, die gleichberechtigt neben den Naturwissenschaften stand.

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  2. Und hier kommt der zweite Teil:

    Nach Peano konnte die Frage „Was ist 3?” endlich mit „Nachfolger von Nachfolger von Nachfolger von 0” beantwortet werden. Der Schritt von der sperrigen Formulierung zum prägnanten Symbol — 3 — ist nur ein lexikalischer; er gibt dem Kind einen Namen nachdem das Wunder der Geburt geschehen ist. Auch ist es von der Seite der Mathematik her gesehen im Sinne des Formalismus unerheblich, ob die „3” in der Natur eine Entsprechung findet. Es dauerte weitere sieben Jahrzehnte bevor Eugen Wigner die Frage nach „The Unreasonable Effectiveness of Mathematics in the Natural Sciences” stellte, die wiederum die Frage beantwortete, warum die Wissenschaft viele Jahrhunderte lang erfolgreich mit Zahlen operieren konnte und wollte, ohne deren Natur zu verstehen. Die Peano Axiome, die die Natur der Zahlen definieren, sind mithin die Grundlage zu Big Data. Oder, wie Mainzer es fomuliert: „Daten werden Zahlen zugeordnet und damit berechenbar.” (Mainzer 2014, S.20)

    Warum habe ich Mainzers Formulierung als simplifiziert bezeichnet? Ihr fehlen wesentliche Voraussetzungen zur Unendlichkeit. Wo schließen seine Formulierungen aus, dass 1+1 mit 1+1+1 identisch ist (vgl. das vierte Peano Axiom)? Falls dem so wäre, dann wäre auch 1+1+1+1 identisch mit 1+1+1. In dem Fall gäbe es lediglich die beiden Zahlen 1 und 1+1. Und wo schließt seine Formulierung aus, dass 1+1+1 identisch mit 1 ist (vgl. das dritte Peano Axiom)? Auch in dem Fall gäbe es nur zwei Zahlen. Erst alle fünf Peano Axiome geben die unendliche Menge der natürlichen Zahlen, die in der (vermutlich) endlichen Natur keine Entsprechung hat. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Mathematik eigenständig neben der realen Welt steht. In diesem Punkt — der Unendlichkeit der Mathematik und der Endlichkeit von Big Data als Teil der endlichen Natur — stimme ich Mainzers Formulierung zu. Auch nach Peano gibt es in der Natur nur drei Objekte; erst die Arithmetik vermag es, die Zahl zu isolieren. Oder: In der Natur gibt es keine 3.

    Spontan nicke ich Mainzers Aussage „Regeln und Gesetze sind also zunächst Datenkompressionen, die ein Muster zum Ausdruck bringen.” (Mainzer, S.20) ab. Aber angewandt auf die axiomatische Formulierung der Zahlen kann ich dem nicht folgen. Die (verlustfreie) Datenkompression entfernt Redundanzen aus einer Aussage. Bei der Kompression verändert sich die Natur der Objekte nicht: Zahlen bleiben Zahlen, phyikalische Objekte bleiben physikalische Objekte. Z.B. kann ich die Menge „{2, 4, 6, …, 998}“ ersetzen durch „alle geraden Zahlen zwischen 2 und 998 einschließlich“. In Mainzers Aussage wird jedoch das Zählen — ein endlicher Vorgang der realen Welt — mit den Zahlen — eine unendliche Menge aus der Arithmetik — gegenübergestellt. Versteht er jedoch unter „Zählen“ einen abstrakten Vorgang aus der Arithmetik, dann ist seine Formulierung schlicht trivial.

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  3. Hallo Hermann!
    Danke für die engagierten, kenntnisreichen Kommentare! Das ist, glaube ich, der erste Text, den ich von Dir gelesen habe, und er ist wirklich gut!
    Allerdings habe ich trotzdem Schwierigkeiten, ihm zu folgen. Aber ich habe ja auch die Darstellung der Peano-Axiome bei Wikipedia nicht verstanden. Insofern ist das also nicht weiter verwunderlich.
    Mir will sich einfach nicht erschließen, warum 1+1+1 möglicherweise identisch sein könnte mit 1+1 oder mit 1+1+1+1 und wieso es dafür eine eigene Regel braucht. Aber gesetzt den Fall, daß es so sei, verstehe ich nicht, warum dann 1+1 nicht auch identisch mit 1 sein könnte und warum wir es hier ausgerechtnet mit zwei aufeinander irreduziblen Zahlen zu tun haben, bei den anderen Fällen aber nicht.
    Das sind Probleme, für die ich einfach kein Sensorium habe.
    Aber trotzdem ist Dein Text inhaltsreich genug, so daß auch ich ihm einiges entnehmen kann, getreu dem Island-Hopping: ich springe halt von einer Insel des Verstehens zur nächsten.

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