„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Dienstag, 4. März 2014

Frank Engster, Das Geld als Maß, Mittel und Methode. Das Rechnen mit der Identität der Zeit, Berlin 2014

(Neofelis Verlag UG, 790 S., Print (Softcover): 32,--)

(I. Wie ist eine Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft möglich?, S.47-148 / II. Lukács und das identische Subjekt-Objekt der Geschichte: Die Idee des Kommunismus und die Identifikation der Arbeit durch das Maß der Zeit, S.149-324 / III. Adornos negative Dialektik und die Logik der Identifikation durch das Maß, S.325-516 / IV. Zwischen Lukács und Adorno. Alfred Sohn-Rethel, die Wertform als Transzendentalsubjekt und dessen blinder Fleck: Die kapitalistische Bestimmung von Ware und Arbeit, Wert und Geld, S.517-646 / V. Die Rätselhaftigkeit des Geldes durch die Auflösung der Ökonomie in Zeit, S.647-744 / VI. Schluss, S.745-764)

4. Die subjektive Zutat
5. Der Standpunkt des Geldes
6. Mehrwert

Ich hatte in meinem letzten Post davon gesprochen, daß ich einige narrative Fäden aus Engsters Kapitel zum jungen Lukács aufgreifen würde, um dem dialektischen Jargon zu entgehen. Mit diesen narrativen Fäden geht es um eine historische Zutat, die eine kulturanthropologische Genese des Geldes beinhaltet, wie sie Christina von Braun in „Der Preis des Geldes“ (2012) herausgearbeitet hat und wie sie Engster als „nicht restlos rationalisierbar(en)“ und „unbewältigbare(n) Rest“ „einer zeremoniellen Gabe, des Opfers, der Schuld, des Wuchers, des Kredits oder des Zinses“ (vgl. Engster 2014, S.165 und S.269) beschreibt. ‚Narrativ‘ ist also die Herkunft des Geldes aus der „chaotische(n) Mannigfaltigkeit aufseiten der Dinge, der Natur oder der Materie“ (Engster 2014, S.117), einem Tohuwabohu, aus dem das Geld in Form einer Landnahme ursprünglich ‚akkumuliert‘, so daß es einen Standpunkt ermöglicht, von dem aus das Bewußtsein befähigt ist, „in der Unmittelbarkeit der Erfahrung immer schon neben sich (zu stehen) und sich selbst zu(zusehen)“. (Vgl. Engster 2014, S.242)

Woran erinnert das? Wer diesen Blog öfter mal besucht, wird wahrscheinlich schon etwas von der exzentrischen Positionalität gelesen haben, der zentralen These in Helmuth Plessners Anthropologie, derzufolge unsere Anatomie, der Körperleib, uns dazu befähigt, uns und unserem Weltverhältnis zuzuschauen. (Vgl.u.a. meine Posts vom 29.10. und vom 31.12.2010) Allerdings steht der Mensch Plessner zufolge trotz der anatomischen Struktur dieser Exzentrizität nicht etwa auf einer Insel im Chaos, sondern im Nichts selbst, was wiederum Christina von Braun zufolge keinen Unterschied macht: denn genau dieses ‚Nichts‘ ist ja wiederum das Geld. (Vgl.u.a. meinen Post vom 09.11.2012)

Trotz all dieser Parallelen führt die ursprüngliche Landnahme bzw. Akkumulation des Geldes inmitten der menschlichen Nichtigkeiten Engster zufolge nicht etwa zu einer exzentrischen Positionalität, sondern zur Dis-Positionalität des Menschen als Ware (vgl. Engster 2014, S.202), die dem akkumulierten Geld – von allen lebensweltlichen Rücksichten befreit – gegenübertritt, um sich seinem ‚Standpunkt‘ zu unterwerfen bzw., auf diesen gestellt, sich selbst als ‚frei‘ anerkannt zu sehen, dem Geld zu dienen. – Wie das?

Dazu erzählen Hegel und Marx eine Geschichte, die, wie bei jedem Schöpfungsmythos, eines „absoluten Herrn“ bedarf. Hegel faßt diesen Schöpfungsmythos als Herr-Knecht-Dialektik, und der absolute Herr ist der Tod.

Hegel trifft zwei kritische Unterscheidungen, in deren erster sich das Bewußtsein von sich selbst trennt, wie Gott, der Herr, Erde und Wasser voneinander schied. Gottgleich kommt dieses Bewußtsein zu der Erkenntnis, daß es diese Trennung – „tautologisch mit nichts als sich selbst konfrontiert“ – „allein durch sich und für sich selbst treffen“ konnte. (Vgl. Engster 2014, S.243f.) – Trotz dieser tautologischen Selbstsetzung bedarf es einer zusätzlichen ‚Gabe‘, denn anscheinend stellt sich die Frage, woher dem gesetzten Selbst die „Kraft“ der „Selbstentfremdung“ „gegeben“ ist. (Vgl. Engster 2014, S.244) Hegel zufolge kommt diese Kraft aus einer zweiten kritischen Unterscheidung, die in der „Konfrontation“ mit einem „anderen Selbstbewusstsein“ besteht, und bei dieser Konfrontation geht es vor allem um die wechselseitige Anerkennung der beiden Kontrahenten. (Vgl. Engster 2014, S.246)

Sie erkennen sich aber nicht direkt als Gleiche an, wie das in einer gut funktionierenden Demokratie der Fall sein sollte, also von Angesicht zu Angesicht, sondern als Verschiedene, die nur vermittelt über ein Drittes als gleich gelten. Schließlich hat ja auch Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen und nicht einfach als Menschen. Vielleicht wußte der Schöpfer ja schon damals von dem Grundsatz des „divide et impera“.

Jedenfalls führt die wechselseitige Anerkennung der beiden Kontrahenten zu einer „unterschiedliche(n) Stellung“ als Herr und als Knecht: „Die unterschiedliche Stellung ergibt sich dadurch, dass angesichts des Todes dasjenige Selbstbewusstsein ‚Herr‘ wird, das sein Leben zu geben bereit war, weil ihm seine Selbständigkeit und sein Fürsichsein das Wesentliche sind. Das andere dagegen, das am Leben hing und dem darum das Sein-für-Anderes wesentlich ist, wird unselbständig und ist ‚Knecht‘.()“ (Engster 2014, S.248)

Damit ist klar, über welches Dritte sich die beiden als Gleiche anerkennen: es ist der Tod. Und so wie der Herr den Tod nicht fürchtet, ihn also repräsentiert, so ist der Tod der absolute Herr: „Es gibt einen ‚absoluten Herrn‘(), den Tod, und der ist diejenige gemeinsame Erfahrung, die den Kampf um Leben und Tod zu etwas ganz Anderem werden lässt.“ (Engster 2014, S.249)

Den „Kampf um Leben und Tod“ interpretiert Engster nun als die Hegelsche Variante einer politischen Ökonomie: als „Ökonomie der Verdrängung“. Indem die beiden Kontrahenten im Herr-Knecht-Verhältnis zueinander finden, wenden sie sich von der Drohung des Todes ab und verdrängen ihn. Der Kampf um Leben und Tod wird ökonomisiert. Herr und Knecht wenden sich der „Arbeit und Aneignung der Endlichkeit ihres gemeinsamen Daseins zu“. (Vgl. Engster 2014, S.249) – Hegels Dialektik ist also ganz und gar nicht nur kontemplativ, wie Lukács fälschlicherweise meinte (vgl. Engster 2014, S.165), sondern führt zu einer Praxis der Lebensführung als Todesbewältigung (vgl. Engster 2014, S.249).

Marx greift diesen narrativen Faden in Hegels „Phänomenologie des Geistes“ auf und spinnt ihn als seine Version einer ursprünglichen Akkumulation weiter. Nach der doppelten Freisetzung der Ware Arbeitskraft und des Kapitals von ihrem lebensweltlichen Hintergrund – frei von allen menschlichen Rücksichten und frei für die gemeinsame Verwertung – stehen sie einander, wie Herr und Knecht, in Form von „Charaktermasken“ gegenüber: „Die spekulative Identität von Kapital und Arbeit wird somit einerseits durch zwei unterschiedliche Gestalten ausgetragen, durch die des Kapitalisten und durch die der Ware Arbeitskraft. Andererseits durchzieht beide Gestalten dieselbe äußere Notwendigkeit wie eine innere Spaltung, und so wird auf beiden Seiten und durch zwei unterschiedliche Gestalten derselbe Widerspruch zwischen innerer Spaltung und äußerer Notwendigkeit ausgetragen.“ (Vgl. Engster 2014, S.271)

„(D)ieselbe äußere Notwendigkeit“, die beide „Personifikationen“ wie eine „innere Spaltung“ austragen, besteht in dem ständig drohenden „Unterbrechen und Scheitern“ des gemeinsamen Verwertungsverhältnisses (vgl. Engster 2014, S.274), also in dem Eintreten einer „Krise“: „Der Tod, das ist in der Ökonomie von Arbeit und Kapital die Krise.“ (Engster 2014, S.275) – Diese Krise ist, wie der Tod bei Hegel, „im Innern der Ökonomie“ anwesend, die somit zu einer Ökonomie der Verdrängung der Krise wird: „... so ökonomisieren auch Arbeit und Kapital ihre Grenze, die Krise.“ (Vgl. ebenda)

Und so, wie im Herr-Knecht-Verhältnis der Herr derjenige ist, der den Tod nicht fürchtet und ihn deshalb repräsentiert, ist der Kapitalist derjenige, der die Krise nicht fürchtet und das Risiko trägt: „Der Kapitalist steht dann, gleich dem Herrn im Herrschaft-Knechtschaft-Kapitel, für den Tod ...“ (Engster 2014, S.290)

Die Erzählung wird fortgesetzt ...

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