„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Mittwoch, 12. März 2014

Frank Engster, Das Geld als Maß, Mittel und Methode. Das Rechnen mit der Identität der Zeit, Berlin 2014

(Neofelis Verlag UG, 790 S., Print (Softcover): 32,--)

(I. Wie ist eine Kritik der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft möglich?, S.47-148 / II. Lukács und das identische Subjekt-Objekt der Geschichte: Die Idee des Kommunismus und die Identifikation der Arbeit durch das Maß der Zeit, S.149-324 / III. Adornos negative Dialektik und die Logik der Identifikation durch das Maß, S.325-516 / IV. Zwischen Lukács und Adorno. Alfred Sohn-Rethel, die Wertform als Transzendentalsubjekt und dessen blinder Fleck: Die kapitalistische Bestimmung von Ware und Arbeit, Wert und Geld, S.517-646 / V. Die Rätselhaftigkeit des Geldes durch die Auflösung der Ökonomie in Zeit, S.647-744 / VI. Schluss, S.745-764)

  7. Immanente Kritik?
  8. Von Phänomenen und ihrer Maßlosigkeit
  9. Der Satz vom Sein
10. Anthropologische Genesis

Immer wieder interpretiert Engster die Begriffe der Maßgabe und der Maßgeblichkeit im Sinne einer „Gabe“ (Engster 2014, S.14, 21, 437), mit der sich eine Objektivität bzw. eine Gegenständlichkeit überhaupt ‚gibt‘. Mit diesem Wort schließt er an eine anthropologische These von Marcel Mauss (1968) an (vgl. Engster 2014, S.21, Anm.6), und er betont auch ausdrücklich, daß er dieses Wort in einem „starken Sinne“, also im vollen Umfang seines Bedeutungsgehaltes verwenden will. Schon ein flüchtiger Blick auf Maussens These – eine gründlichere Stellungnahme ist mir aufgrund fehlender eigener Kenntnis von Mauss vorerst nicht möglich – zeigt, daß sich Mauss mit der ‚Gabe‘ vom ökonomischen Tausch absetzen und eine eigene soziale, im Symbolischen verbleibende Kategorie einführen will. Es geht in diesem Begriff also gerade nicht um die, im Habermasschen Sinne materielle, also ökonomische Reproduktion der Gesellschaft, sondern um ihre symbolische Reproduktion.

Wenn Engster also mit dem Begriff der Gabe auf die Maßgeblichkeit des Geldes innerhalb einer kapitalistischen Ökonomie hinaus will, so kann er das nur qua Bedeutungsänderung und eben nicht im „starken Sinne“, also nicht mit Bezug auf Marcel Mauss. Diese Bedeutungsänderung besteht darin, daß es sich Engster zufolge beim Ab-Geben des Maßes um eine ursprüngliche Setzung und nicht um eine Gebung handelt. Das wird nirgends deutlicher als an der Stelle, wo Engster die Hegelsche Dialektik auf einen ersten Satz im wörtlichen Sinne zurückführt, aus dem sich dann das Maß in einer dialektischen Bewegung er-‚gibt‘:
(Hegel, „Wissenschaft der Logik“:) „Insofern nun der Satz ‚Sein und Nichts ist dasselbe‘ die Identität dieser Bestimmung ausspricht, aber in der Tat ebenso sie beide als unterschieden enthält, widerspricht er sich selbst und löst sich auf. Halten wir dies näher fest, so ist also hier ein Satz gesetzt, der, näher betrachtet, die Bewegung hat, durch sich selbst zu verschwinden. Damit aber geschieht an ihm selbst das, was seinen eigentlichen Inhalt ausmachen soll, nämlich das Werden.“ (Engster 2014, S.377)
In der Syntax, also in der Satzstruktur „Sein und Nichts ist dasselbe!“ ist also die ganze dialektische Bewegung schon enthalten. Dabei zeigt sich auch, daß dieser Satz eine in sich geschlossene Subjekt-Prädikat-Struktur beinhaltet. Mauthner zufolge bilden alle Sätze lediglich Prädikate in bezug auf außerhalb der Sprache befindliche Kontexte. (Vgl. meinen Post vom 19.10.2013) Das eigentliche Satzsubjekt bildet also nicht das grammatische Subjekt des Satzes, sondern die Außenwelt. Der Hegelsche Satz über das Sein hingegen verweist weder mit dem Wort „Sein“ noch mit dem Wort „Nichts“ auf eine Außenwelt, sondern nur auf sich. Was er ‚gibt‘ bzw. was für ihn ‚maßgeblich‘ ist, ist der Satz selbst. Und da er in sich widersprüchlich ist – das ‚Nichts‘ ergibt sich übrigens aus der völligen Unbestimmtheit des Seins –, beinhaltet er eine innere Unruhe und bringt in Form einer ‚Bewegung‘ weitere Sätze hervor, die das unbestimmte Sein näher bestimmen wollen. Der Satz geht also ins „Werden“ über. Und da wiederum alle diese neuen Sätze auf nichts Äußeres verweisen, sondern nur auf sich selbst, unterscheiden sie sich auch nur in sich selbst, und ‚geben‘ so ihr Maß ab, an das sie sich halten: eine immer nur sich selbst gleich bleibende Differenz, als das innere Geheimnis ihrer ‚Qualität‘, die sich somit als bloße eindimensionale Quantität erweist.

‚Sein‘ und ‚Nichts‘ bedeuten also nicht, daß irgendetwas Konkretes gleichzeitig ist und nicht ist. Das konkrete Etwas ist immer positiv und kann niemals gleichzeitig negativ sein. Eine solche Gleichzeitigkeit kann es nur im Satz geben, nicht in der Wirklichkeit. Deshalb sind auch all die Bestimmungen, die aus der syntaktisch bedingten Gleichzeitigkeit von Sein und Nichts hervorgehen, nur negativ in bezug auf all die anderen Bestimmungen, die sie nicht sind, denn sie beziehen sich auf kein konkret gegebenes, positives Etwas.

So einfach ist das ganze Denkgebäude, das tatsächlich nur ein vollständig entfaltetes Satzsystem darstellt, in dem sich letztlich gar nichts bewegt. Wenn Adorno also versucht, dieses Denkgebäude von innen her, immanent, aufzusprengen, so fügt er ihm Engster zufolge mit dem Nicht-Identischen nur eine weitere ‚Differenz‘ hinzu, die es zugleich als seine eigene Differenz vereinnahmt, die schon im Satz vom Sein als Nichts enthalten ist. Der ‚Mangel‘, daß das Etwas in die dialektische Bewegung nicht eingeht, ihr ‚äußerlich‘ bleibt, erweist sich für das Hegelsche Denkgebäude als sein eigener Mangel, in dem es sich im Zuwenden zu etwas Anderem immer wieder von einem Etwas abwendet, im schlecht unendlichen Sinne: „Das Nicht-Identische eröffnet im Verhältnis von Begriff und Begriffenem eine Unabgeschlossenheit, die den Begriff nötigt, auch einen Unterschied gegenüber sich selbst zu machen. Er muss eine Differenz zum eigenen Anspruch und Vermögen eröffnen, eine Differenz allerdings, die er, obwohl ein Mangel, doch als seinen Mangel und seine Unangemessenheit für sich hat.“ (Engster 2014, S.353)

So wird in der Hegelschen Dialektik der Mangel zur Potenz, wo Adorno ihn eigentlich als äußere Widerfahrnis versteht. Adorno zufolge geschieht das Nicht-Identische dem Denken und wird nicht von ihm gedacht! Genau deshalb bleibt es unabschließbar. Schlecht unendlich wäre dieses Denken im Adornoschen Sinne nur dann, wenn es sich vom Etwas, das ihm geschieht, abwenden und in ein selbstgenügsames Kreisen um sich selbst eintreten würde. Letzteres wäre in etwa das, was Engster als wahre Unendlichkeit bezeichnet.

Seine wahre Unendlichkeit hat das Denken bei Adorno dagegen in seinem Scheitern, aus dem heraus es sich immer wieder neuen Erfahrungen, als Widerfahrnis und nicht als Potenz, öffnet.

Download

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen