„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 8. November 2013

Sandra Maria Geschke, Doing Urban Space. Ganzheitliches Wohnen zwischen Raumbildung und Menschwerdung, Bielefeld 2013

(transcript, 357 S., 33,80 €)

1. Prolog
2. Methode
(A) Wildes Denken
(B) Kasuistik und Meditation
3. Anthropologie
4. Identitätsräume und Kommunikationsräume
5. Raumbindungsverluste
6. Gentrifizierung
7. Stadtplanung

Gentrifizierung kommt von ‚gentry‘, dem niederen Adel, der im 18.Jhdt. von den Stadträndern in die Zentren einzog. Heute ist damit der Verdrängungsprozeß der einheimischen, statusniedrigeren Einwohnerschaft durch den Zuzug statushöherer Mittelschichtsfamilien gemeint. Durch die kaufkräftigeren neuen Einwohner erhöhen sich die Lebenshaltungskosten, die sich die ursprünglichen Stadtteilbewohner nicht mehr leisten können und folglich wegziehen.

Sandra Maria Geschke beschreibt mit Jürgen Friedrichs (1996) insgesamt vier Phasen dieses Verdrängungsprozesses (vgl. Geschke 2013, S.38f.), die man aber auch gut auf zwei bis drei Phasen zusammenkürzen kann, weil zwei der vier Phasen nur durch eine intensivere Verdrängung der Stadtteilbevölkerung unterschieden werden. Die erste Phase besteht in einem Zuzug von „Pionieren“, die aus Studenten und Künstlern auf der Suche nach preiswertem Wohnraum bestehen. (Vgl. Geschke 2013, S.38) Indem sie sich trotz ihrer geringen finanziellen Mittel aufgrund ihrer speziellen Lebensform mit ihrer zumindestens zeitweiligen Ausrichtung auf immaterielle Lebenskonzepte in den ärmeren Stadtvierteln mit ihren alternativen Projekten des Wohnens, des Wirtschaftens und einer subversiven Öffentlichkeit einrichten können, erhöhen sie die Vielfalt der kulturellen Angebote und damit die Lebensqualität dieser Stadtteile.

Das lockt in einer zweiten Phase die „Gentrifers“ in diese Stadtteile. Die Gentrifers sind „zumeist Paare mit höherer Schulbildung und eigenem höheren Einkommen“. (Vgl. Geschke 2013, S.38) Mit dem höheren Einkommen der neuen Einwohner erhöhen sich, wie schon erwähnt, die Lebenshaltungskosten, und die Verdrängung der ursprünglichen Stadtteilbevölkerung beginnt. In einer dritten Phase werden dann auch die Pioniere verdrängt: „Es verfestigt sich ein Kreislauf der Kapitalisierung von Raum. Mieten und Grundstückspreise steigen weiter an, was zum Wegzug von Pionieren führt und durch das Ansiedeln neuer, innovativer Geschäfte weiter Menschen aus anderen Stadtteilen anlockt.“ (Geschke 2013, S.39)

Was mich an dieser Gentrifizierung ganz besonders irritiert, ist die Zwangsläufigkeit, mit der die Erhöhung der Lebensqualität zu einer Erhöhung der Lebenshaltungskosten führt. Die enge Verzahnung von Lebensqualität und Lebenshaltungskosten macht eigentlich jede Hoffnung auf einen Ausstieg aus dem Wachstumswahnsinn zunichte. In einer Gesellschaft, die sich so sehr auf eine permanente Steigerung des Profits fixiert hat, ist es anscheinend unmöglich, irgendetwas zu tun, das nicht mittelbar zu eben dieser Steigerung des Profits führt.

Das erinnert mich an eine Bemerkung meines Schwagers. Er meinte einmal, daß das Wichtigste, was wir während unseres Studiums gelernt hätten, darin bestünde, mit wenig Geld auszukommen und dabei trotzdem ein gutes Leben zu führen. Diese Bemerkung hatte etwas Utopisches. In ihr schwang eine leise Hoffnung auf die Übertragbarkeit dieser zumindestens zeitweiligen Lebensführung auf das ganze Leben und auf andere Bevölkerungsgruppen und -schichten mit. Wo einem aber in allem wie ein Schatten das Geld folgt, dort zerstört es, wie schon öfter in diesem Blog gezeigt (vgl. meine Posts vom 28.11. und 04.12.2012 und vom 17.01.2013), Gemeinschaften und Lebenswelten. Nichts anderes als das ist Gentrifizierung.

Download

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen