„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Sonntag, 31. März 2013

Hanno Charisius/Richard Friebe/Sascha Karberg, Biohacking. Gentechnik aus der Garage, München 2013

1. Faustkeil = Hammer = Atomkraftwerk?
2. Hinzukommendes Selbst oder Zugang zum Selbst?
3. Keine ‚Zurück‘-Taste
4. Bürgerwissenschaft

Es gibt Stellen in „Biohacking“, die hinsichtlich der Naivität der DIY-Bio-Aktivisten bezeichnend sind, weil sie für eine weitverbreitete Naivität in unserer wissenschaftlichen Lebenswelt stehen, also Amateure und Wissenschaftler gleichermaßen betrifft. So heißt es z.B. von einer Aktivistin: „Swan erinnert sich, wie aufgeregt sie war, als sie das erste Mal ihre eigenen Gene ausbuchstabiert vor sich sah, ‚all die As, Cs, Gs und Ts zu sehen, die mich zu dem machen, was ich bin‘.“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.166) – Auch die Autoren selbst berichten davon, wie sich ihnen die „Härchen an den Unterarmen“ aufrichteten, als sich in der Lösung in ihren Schnapsbecherchen „weiße Fäden“ nach oben schlängelten. (Vgl. Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.25)

Die Naivität, von der ich hier spreche, besteht in der Gedankenlosigkeit, mit der sowohl Genetiker wie auch Neurophysiologen ihren Gegenstand, die Gene die einen, das Gehirn die anderen, mit dem Selbst des jeweiligen Menschen, zu denen diese Gene bzw. das Gehirn gehören, gleichsetzen. Als wäre es also nicht schon bemerkenswert genug, daß sich die DIY-Bio-Aktivisten mit den „Bausteinen“ des Lebens befassen (vgl. Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.74), sollen diese Bausteine auch noch die Quintessenz unserer Identität bilden. Wäre es tatsächlich so, könnte man tatsächlich demnächst statt Psychotherapie Gentherapie betreiben. Und jeder Hobby-Biotechniker hätte den persönlichen Zugang (Access) zu sich ‚selbst‘ in der Hand, was dem Recht auf „informationelle Selbst-Bestimmung“ eine ganz neue Bedeutung geben würde:
„‚Access‘, also ‚Zugang‘ ist das Schlagwort, das zahlreiche Initiativen vereint – von der Gemeinde der Computerhacker über die Linux-Community und Internet-Tauschbörsen bis hin zur Bewegung, die wissenschaftliche Veröffentlichungen zunehmend kostenfrei über das Web zugänglich macht. Im Fall des Genoms bekommt diese Diskussion über ‚Zugang‘ eine neue Dimension. Denn sie wird erstmals nicht mehr von Personen oder Gruppen geführt, die ihre Forderung nach Zugang an andere richten. Sie wendet sich vielmehr dem Individuum, dem Selbst zu.“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.166)
Der ‚Zugang‘ zum Selbst beinhaltet also im Vergleich mit den bisherigen Initiativen zur Verteidigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einen „qualitativen Unterschied“: „Während andere Gründe haben mögen, Zugang zu dem, was sie als ihr materielles oder geistiges Eigentum sehen, zu verweigern, ist es schwer zu begründen, jemandem den Zugang zu seinem molekularen Ich zu verstellen.“ (Ebenda) – Die Ingenieursperspektive richtet sich damit nicht nur auf das Leben, sondern auch auf die Psyche des Menschen.

Synthetische Biologie und synthetische Psychotherapie gehen Hand in Hand. Der Reduktionismus steckt dabei schon im Begriff des „Minimalgenoms“, dem Craig Venter auf der Spur ist, also die Vorstellung, das Leben auf seine „Essenz“ von nur noch 46 Genen zurückführen zu können. (Vgl. Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.72) Dieses Minimalgenom kann dann als Grundlage für die Zwecke der synthetischen Biologie dienen: je nach dem, was die minimalgenomreduzierten Mikroben können sollen – Arzneimittel oder Biotreibstoff produzieren –, brauchen ihnen nur noch die dazu nötigen Gene hinzugefügt zu werden.

Allerdings ist dieser Ansatz zu minimalistisch, um für solche biotechnologischen Zwecke wirklich brauchbar zu sein. Ein biologisches System braucht „Redundanzen“, um modulierbar, sprich für unsere Zwecke steuerbar zu bleiben: „Und Module einzubauen und auszutauschen und miteinander zu synchronisieren – auf eine Weise, dass Zellen oder Lösungen voller biologischer Moleküle das machen, was der Ingenieur will –, ist das erklärte Ziel.“ (Vgl. Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.73)

Aus Ingenieursperspektive kann es also nicht funktionieren, einzelne Gene auszutauschen, weil die Gene miteinander ‚kommunizieren‘! Wer synthetische Biologie betreiben will, „muss meist nicht nur ein Gen, sondern gleich mehrere miteinander kommunizierende Gene zwischen Organismen transferieren“. Und die Autoren fügen hinzu: „In unserer fast dreijährigen Recherche haben wir keinen Biohacker getroffen, von dem wir hätten sagten können, dass er bereits synthetische Biologie betreibt.“ (Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.77)

Daß die Gene miteinander kommunizieren, macht sie offensichtlich schwer beherrschbar. Die Einflußfaktoren bei einem Gentransfer sind für einen Laien kaum überschaubar. Was ist in den Wechselwirkungen redundant und was ist kausal? Diese Frage ist offensichtlich in der Komplexität des Lebens nicht leicht zu beantworten. Noch komplexer wird das Ganze, wenn wir berücksichtigen, daß auch der sogenannte Phänotyp einen Einfluß darauf hat, was in den Genen passiert. Es gibt nicht nur „Positionseffekte“ im Genom selbst. (Vgl. Charisius/Friebe/Karberg 2013, S.76)

Das alles erinnert sehr an die Rekursivität, wie ich sie in diesem Blog immer als Möglichkeitsbedingung des menschlichen Bewußtseins diskutiert habe. Es gibt aber nicht nur intrasubjektive und intersubjektive Rekursivität, und es gibt auch nicht nur die den Computerprogrammen zugrundeliegenden rekursiven Algorithmen, sondern es gibt eben offensichtlich auch die genetische Rekursivität mit ihren Positionseffekten. Wer also meint, bei all den „As, Cs, Gs und Ts“, mit denen er es bei einer Bestimmung seines Erbguts zu tun hat, habe er es zugleich mit sich selbst zu tun, hat nicht verstanden, daß dieses Selbst erst noch hinzukommen muß, und zwar als letzte Spitze eines komplexen, gleichermaßen biologischen wie kulturellen Entwicklungsprozesses.

So jedenfalls sieht es Antonio Damasio, der in seinem Buch „Self Comes to Mind“ (2010/11) diesen Prozeß des Hinzukommens immer neuer Qualitäten von der einzelnen Körperzelle bis zum entwickelten Selbstbewußtsein beschreibt. (Vgl. meinen Post vom 15.08.2012) Die Rekursivität dieses Prozesses ist offensichtlich. Auf jeder Ebene stehen alle organischen und mentalen Prozesse in nicht reduzierbarer, rekursiver Wechselwirkung miteinander.

Die bei der Bestimmung des Erbgutes ausgelesenen Buchstabenfolgen bedeuten gar nichts. Ein Selbst ist in ihnen nicht vorhanden. Daß es ein Selbst ohne sie nicht gäbe, ist wieder eine andere Sache, ändert aber nichts am Sachverhalt: erst auf der Verhaltensebene, im individuellen Selbst- und Weltverhältnis, bildet sich ein menschliches Selbstbewußtsein aus.

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