„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Freitag, 8. Februar 2013

Rupert Sheldrake, Der Wissenschaftswahn. Warum der Materialismus ausgedient hat, München 2012

9. Nachtrag

In seinem Buch „Des Mauren letzter Seufzer“ (1995/96) schreibt Salman Rushdie eine Satire auf Sheldrakes morphogenetische Felder. Aber auch Wolf Singer mit seinem „Gamma-Frequenzspektrum“ wird in diese Satire mit einbezogen. Ein gewisser Francisco da Gama – der Familienlegende zufolge ein Nachfahre des historischen Vasco da Gama – entwickelt eine Theorie der „Transformationsfelder des Bewußtseins“, die sowohl bildungstheoretische als auch moralphilosophische Implikationen beinhaltet:
„... gegen Ende des Jahres 1916 ließ Francisco privat eine Abhandlung drucken, die er sodann an alle führenden Zeitschriften jener Zeit ‚zur freundlichen Beachtung‘ versandte, einen Artikel mit dem Titel: ‚Für eine vorläufige Theorie der Transformationsfelder des Bewußtseins‘, in dem er die Existenz eines unsichtbaren ‚dynamischen Netzes geistiger Energie‘ um uns herum postulierte, ‚ganz ähnlich den elektromagnetischen Feldern‘, und behauptete, daß diese ‚Bewußtseinsfelder‘ nichts anderes seien als die Repositorien der – praktischen und moralischen – Erinnerung der menschlichen Spezies, ja, daß sie genau das seien, was James Joyce jüngst seinem Helden Stephen in den Mund gelegt hatte: daß er nämlich in der Schmiede seiner Seele das unerschaffene Gewissen unserer Rasse ‚prägen‘ wolle. Auf ihrer untersten Wirkungsebene erleichterten diese Transformationsfelder des Bewußtseins, kurz TFBs, anscheinend die Ausbildung, so daß alles, was von irgend jemandem irgendwo auf der Erde gelernt wurde, sogleich überall für alle anderen leichter erlernbar wurde; aber es wurde auch angedeutet, daß diese Felder auf ihrer höchsten Ebene, der Ebene, die zugegebenermaßen am schwierigsten zu beobachten war, ethisch wirkten, das heißt, daß sie unsere moralischen Alternativen nicht nur definierten, sondern von ihnen auch definiert wurden, daß sie von jeder moralischen Entscheidung auf unserem Planeten gestärkt wurden, so daß zu viele Missetaten die Gewissensfelder theoretisch irreparabel schädigen mußten und ‚die Menschheit dann vor der unvorstellbaren Realität eines durch die Zerstörung des ethischen Nexus – des Sicherheitsnetzes, könnte man sogar sagen, in dem wir immer gelebt haben – amoralisch und damit bedeutungslos gewordenen Universums stehen würde‘.“ (Rushdie 1996, S.34)
Die Zeitgenossen Franciscos machen sich insbesondere über die moralischen Implikationen seiner TFBs lustig. So schreibt ein Rezensent: „Sollten wir etwa durch zufällige Feldkollisionen eine Verschmutzung unserer Werte – nennen wir sie Gama-Strahlung – befürchten müssen? Könnten die Sexualgewohnheiten der Gottesanbeterin, die Ästhetik der Paviane oder Gorillas, die Politik der Skorpione unsere eigene, arme Psyche eventuell tödlich infizieren? Oder, Gott behüte, haben sie das vielleicht schon getan?“ (Rushdie 1996, S.35)

Der Hinweis auf die „Gama-Strahlen“ erinnert sicher nicht von ungefähr an das „Gamma-Frequenzspektrum“, das nach Wolf Singer, dem Direktor für Hirnforschung am Max-Planck-Institut, ein neuronales Korrelat für Gestaltphänomene bilden soll. (Vgl. meinen Post vom 18.07.2011)

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