„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Dienstag, 4. Dezember 2012

Geld gegen Gemeinschaft

(Christina von Braun, Der Preis des Geldes. Eine Kulturgeschichte, Berlin 2/2012)

In dem Kapitel „Geld und Gemeinschaft“ (Braun 2/2012, S.161-220) differenziert von Braun zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft, indem sie das gemeinschaftszerstörende und gesellschaftsstiftende Potential des (nominalistischen) Geldes hervorhebt. (Vgl. Braun 2/2012, S.164, 185) Dabei bezieht sie sich nicht auf Helmuth Plessner (1924), sondern auf Karl Polanyi (1944): „Mit The Great Transformation bezeichnet Polanyi den Prozess, bei dem aus einer ‚Gemeinschaft‘ eine ‚Gesellschaft‘, bestehend aus Individuen, wird. In der Gemeinschaft gilt das Prinzip der Reziprozität und des zeremoniellen Tausches, durch das jedes Individuum in das Kollektiv eingegliedert ist und seinen Platz wie seine Verantwortung hat. ... In der aus vielen Individuen bestehenden ‚Gesellschaft‘ dagegen handelt jeder nach dem Prinzip des Eigeninteresses. Das gilt auch und vor allem ökonomisch. ... Das System des selbstregulierenden Marktes war eindeutig von diesem Prinzip geleitet.“ (Braun 2/2012, S.186f.)

Mit dieser Differenzierung liegt eigentlich ein trennscharfes Kriterium vor, so daß es hinsichtlich der Funktion des (nominalistischen) Geldes keine weiteren Probleme geben sollte. Dennoch spricht von Braun weiterhin von dem gemeinschaftsstiftenden Potential des Geldes, so daß sie nun gezwungen ist, ein Paradox zu konstatieren: „Auf der einen Seite zerstörte das Geld die Gemeinschaft der Gabe und der Reziprozität, auf der anderen Seite wurde es aber auch selbst zu einem mächtigen Band der Gemeinschaftsbildung.“ (Braun 2/2012, S.166) – So verweist von Braun auch auf die Notwendigkeit, daß Europa zu einer „gemeinsamen neuen“ Gemeinschaft finden müsse, wenn die aktuelle „Euro-Krise“, die vor allem in einem Glaubwürdigkeitsproblem besteht, gelöst werden solle. (Vgl. ebenda)

Das scheinbare Paradox zwischen einem gemeinschaftszerstörenden und einem gemeinschaftsstiftenden Potential des Geldes läßt sich aber leicht dadurch auflösen, daß eben Gemeinschaft und Gesellschaft verschiedene Dinge sind! Die „Münze“ zirkuliert eben nicht in der Gemeinschaft, wie von Braun schreibt (vgl. Braun 2/2012, S.164), sondern in der Gesellschaft. Das Geld stiftet also nicht Gemeinschaften, die es im Gegenteil zerstört, sondern Gesellschaften.

Der Unterschied zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft läßt sich auch anhand der unterschiedlichen Rekursivität beschreiben, durch die sie bestimmt werden. So spricht von Braun z.B. von der „Reziprozität“, durch die die „Gemeinschaft der Gabe“ im Unterschied zur Gesellschaft gekennzeichnet sei. (Vgl. Braun 2/2012, S.166) Das läßt sich auch sehr schön an von Brauns Darstellungen zur Hostie zeigen. Einerseits heißt es: „Gemeinsam die Hostie zu nehmen, konstituiert die Glaubensgemeinschaft.“ (Braun 2/2012, S.163)

Hier liegt also Reziprozität in Form einer ‚Kommunion‘ vor. Es handelt sich letztlich um ein zentrales Kommunikationsmotiv, wie es Tomasello beschreibt. (Vgl. meinen Post vom 25.04.2010) Teilen können wir nur auf der Grundlage eines gemeinsamen Bedürfnisses – dem Interesse an der Intentionalität unseres Mitmenschen – und auf der Grundlage des gemeinsamen Wissens um die Gemeinsamkeit dieses Bedürfnisses. Das ist Rekursivität, die eine menschliche Gemeinschaft ermöglicht, die sich von unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, unterscheidet.

Nun fügt aber von Braun dem letzten zitierten Satz noch folgenden Satz hinzu: „Ähnlich das Geld: Auch die Münze kann nur zirkulieren, wenn die Gemeinschaft an sie glaubt, sie stiftet Gemeinschaft.“ (Braun 2/2012, S.163f.) – Hier ist nun besonders aufschlußreich, wie von Braun den Bedeutungswandel des Begriffs der Hostie von ‚Gabe‘ zu ‚Feind‘ (hostis) beschreibt: „Die ursprüngliche Bedeutung von hostis stammt also aus der Gesellschaft der zeremoniellen Gabe, seine neue und abgewandelte Form aus der Geldgesellschaft, in der ein auf dem Prinzip der Reziprozität beruhender hostis keine Funktion hat. Er kann zum Feind werden – oder er wird zum ‚Fremden mit gleichen Rechten‘.()“ (Braun 2/2012, S.164)

Zunächstmal bleibt hier nochmal festzuhalten, daß von Braun plötzlich nicht mehr von der ‚Gemeinschaft‘, sondern von der ‚Gesellschaft‘ der Gabe spricht. Wieder wird die eigentlich klare Differenz aufgehoben und so die seltsame Potenz des nominalistischen Geldes, dasselbe gleichzeitig zu zerstören und zu stiften, verrätselt und verklausuliert. Doch gleichzeitig wird deutlich, inwiefern sich die vom Geld gestiftete, gesellschaftliche Rekursivität von der die zwischenmenschliche Kommunikation ermöglichenden Rekursivität unterscheidet: Wir haben es hier nicht mehr mit den gemeinsamen Interessen einer Gemeinschaft zu tun, sondern mit den gegensätzlichen Interessen von ‚Feinden‘, sprich: Konkurrenten! Schon Rousseau hatte das bürgerliche Konkurrenzprinzip an einer gesellschaftlichen Bedürfnisorientierung festgemacht, die darin besteht, nur ein gemeinsamen Interesse zu kennen: mehr haben zu wollen, als die anderen!

Diese Rekursivität wird durch das nominalistische Geld gefördert, gerade weil es von allen materiellen Bezügen befreit ist. Die durch dieses Geld gestifteten Gesellschaften sind am Mehrwert orientiert und nicht an elementarer Bedürfnisbefriedigung.

So sehr sich also die beiden Formen der Rekursivität unterscheiden, so sehr haben sie dennoch eine gemeinsame Basis, die in eben dem wechselseitigen Vertrauen besteht, daß der Andere mit mir kooperieren will. Dieses Vertrauen muß auch dort vorhanden sein, wo sich Geschäftspartner gegenseitig zu übervorteilen versuchen. So hält Tomasello das Vertrauen für ursprünglicher als die Lüge, die nicht funktionieren würde, wenn nicht auch der Lügner darauf vertrauen würde, daß der Belogene ihm vertraut. Auch in einer Konkurrenzgesellschaft wie der kapitalistischen Marktwirtschaft ‚vertrauen‘ die Konkurrenten auf ein gemeinsames Wissen und letztlich – wie von Braun zeigt – vor allem auf einen gemeinsamen Glauben: dem Glauben an die Werthaltigkeit des Geldes.

So spricht von Braun von einem durch den Buchdruck ermöglichten „Gefühl von Gleichzeitigkeit und Gleichsprachigkeit“, das sich über hunderte von Millionen von Menschen erstrecken kann, wie etwa in der us-amerikanischen Gesellschaft: „Diese Druckerzeugnisse ... schufen neue und ‚beständige Gemeinschaften‘ – nicht nur indem sie die regionalen Sprachen vereinheitlichten (wie das für Luthers Bibelübersetzung der Fall war), sondern auch aus Gründen einer imaginierten Gleichzeitigkeit: ‚Ein Amerikaner wird niemals mehr als eine Handvoll seiner vielleicht 240 Millionen Landsleute kennen lernen oder auch nur deren Namen wissen. Er hat keine Vorstellung, was sie irgendwann gerade tun. Doch er hat volles Vertrauen in ihr stetes, anonymes, gleichzeitiges Handeln.‘“ (Braun 2/2012, S.176f.) – Das erinnert an die „zerdehnte Situation“, wie sie Jan Assmann beschrieben hat, die darin besteht, daß Menschen über große räumliche und zeitliche Entfernungen hinweg schriftlich miteinander kommunizieren können. (Vgl. meinen Post vom 05.02.2011)

Druckerzeugnisse erweitern also den rekursiven Raum, wie ihn Tomasello anhand von Verabredungen beschreibt: wir brauchen den anderen Menschen, mit dem wir ein gemeinsames Anliegen verfolgen, nicht zu sehen, um zu wissen, daß er alles tun wird, was zum Erfolg unseres gemeinsamen Anliegens führen kann. Wenn Millionen von Menschen jeden Tag zur gleichen Zeit die Morgen- und Abendausgaben von Zeitungen lesen und wir darum wissen, daß sie das tun, entsteht ein gewaltiger und mächtiger Raum geteilter Intentionalität (vgl. Braun 2/2012, S.177): die gesellschaftliche Öffentlichkeit. Der Rotationsdruck – der ja nicht nur Zeitungen druckt, sondern auch Geld – wird so zu einer effektiven Rekursivitätsmaschine.

Diese Gemeinsamkeit zwischen den beiden verschiedenen Rekursivitätsformen der Gemeinschaft und der Gesellschaft darf aber nicht über ihre prinzipielle Differenz hinwegtäuschen. Es gibt kein Paradox zwischen einer angeblich gleichzeitig gemeinschaftszerstörenden und gemeinschaftsstiftenden Potenz des Geldes. Das Geld stiftet nur Gesellschaften; und als nominalistisches Geld stiftet es wiederum nur eine ganz bestimmte Form der Gesellschaft, die, wie von Brauns Analysen zeigen, dabei ist, den Menschen als Subjekt der Geschichte abzuschaffen. Insofern behält Luhmann recht, wenn er postuliert, daß Gesellschaften nicht aus Menschen bestehen, was allerdings nur für die spezifische Variante des Finanzkapitalismus gilt.

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