„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Sonntag, 15. Juli 2012

Hans Blumenberg, Höhlenausgänge, Frankfurt a.M. 1989

  1. Zurück in die Höhlen?
  2. Aufgeklärter Nihilismus
  3. Vom ‚Wesen‘
  4. Phylogenese und Anthropologie
  5. Höhlen und Medien
  6. Verstehen von Höhlen
  7. Zur Legitimität der Lebenswelt
  8. Sinnesorgane und ihre Evidenz
  9. Kinästhetik und Intersubjektivität
  10. Pädagogik und Macht
  11. Methode und Selber denken
  12. Narrativität und Montageprinzip
Ich habe Blumenbergs Methodenverständnis schon in einem früheren Post diskutiert, wobei es um die Notwendigkeit ging, umständliche Beweisführungen methodisch abzukürzen, was immer auch bedeutet, Denkprozesse zu verkürzen. (Vgl. meinen Post vom 08.08.2010) Auch in „Höhlenausgänge“ diskutiert Blumenberg die Methode unter diesem Aspekt, – allerdings weniger als eine Minderung des Forschungsaufwands. Hier geht es zunächst um eine effektive Methode der Lehre: „Zur Lehre gehört die Festlegung des Menschen auf Mittelbarkeit, langfristig und vielfach gestuft. Ein Lehrer macht die Erfahrung, die er selbst und die andere gemacht haben, methodisch effektiv und zeitlich befristet, so daß nicht immer wieder ein ganzes Leben gelebt werden muß, um die Informationsmenge, die zum Leben nötig ist, zu sammeln. ... So läuft der Strom ‚Erfahrung von Realität‘ neben dem Strom ‚Erfahrung der Vermittlung von Realität‘ einher. Lehrer werden daher immer schon ein erhöhtes Maß an Realitätsverlust hinter sich haben, zugunsten ihrer erhöhten Fertigkeit, Informationen und Fertigkeiten zu übermitteln.“ (Blumenberg 1989, S.147)

‚Methoden‘ lassen sich also auf drei verschiedene Gebiete beziehen: auf die Heuristik (als Forschungsmethode), auf die Didaktik (als Unterrichtsmethode) und auf die Pädagogik (als Erziehungsmethode). Inwiefern haben aber ‚Methoden‘ etwas mit ‚Höhlen‘ zu tun? Mit Höhlen, läßt sich darauf antworten, allenfalls in dem Sinne, als auch in Höhlen ein ‚Weg‘ (methodos) zurückgelegt werden muß, um zum Ausgang zu gelangen. Das wäre vor allem das Anliegen einer Paideia, also von Bildung. Bezogen auf die Wissenschaft und die damit verbundene Notwendigkeit einer Heuristik wäre weniger an‚Höhlen‘ als an ‚Labyrinthe‘ zu denken: „... die Wegverwicklung liegt in der Ebene, sie hat die dritte Dimension des Ausstiegs nach oben (oder unten: ins Dämonische) nicht. Methode heißt hier, den Weg zwischen Eingang und Zentrum zurückzulegen und so festzuhalten, daß er die beirrende Unsicherheit verliert; daß dieses Festhalten bedeutet, die Sicherung zum Eingang zurückzubringen und dort zu ‚deponieren‘, ist eine akzessorische Funktion des ganzen Unterfangens und nicht mehr jene‚Idee des Guten‘ im Rücken, die den platonischen Umkehrer umkehren ließ, statt Theoretiker zu bleiben. Dennoch wird in der neuzeitlichen Geschichte der Theorie das einmal Gewagte das prinzipiell Wagnislose, formelhaft Übertragbare, der authentischen Einsicht Unbedürftige. Insofern gehört zur Methodenidee gerade nicht, hier würde nur noch ‚selbst gedacht‘.“ (Blumenberg 1989, S.419f.)

Steht im Labyrinth der Ariadnefaden für den erstmals in ein unbekanntes Gebiet vorstoßenden Forscher, der sich am ‚Leitfaden‘ seiner Heuristik hält, so steht für seine Nachfolger nun ein Plan („formelhaft Übertragbares“) zur Verfügung, der es ihnen ermöglicht, das Zentrum des Labyrinths ohne Umwege aufzusuchen. Der Ariadnefaden hat seine Bedeutung verloren und gerät in Vergessenheit. Selber denken wird überflüssig: „Der Resultatszwang der Epoche ist auf Systematik festgelegt, und aus dem Resultat sind die Zugangswege (der Heuristik also – DZ) eliminiert ...“ (Vgl. Blumenberg 1989, S.420) – Im Sinne des Interesses an systematisierbaren Resultaten interessieren nur noch die Beweise. Deren stets nur einer kontingenten Heuristik geschuldetes Zustandekommen gerät sogar in den Verdacht der Unwissenschaftlichkeit.

Aber letztlich ist es vor allem die Heuristik, die die „Autopsie“ ermöglicht. (Vgl. Blumenberg 1989, S.146, 275, 291; vgl. auch meine Posts vom 04.06.2010 und vom 05.06.2010) Jede methodische Abkürzung im Bereich der Didaktik und Paideutik droht, Autorität an die Stelle der Autopsie zu setzen: „Mittelbarkeit und Autorität werden niemals voneinander zu lösen sein ...“ (Blumenberg 1989, S.148f.) – So droht die „Vorherrschaft der Methodenidee“ nicht nur zur Verhinderung von Autopsie zu führen, sondern auch „zur vorgängigen Abkehr ‚von den Sachen‘“ selbst. (Vgl. Blumenberg 1989, S.289)

Die größte Gefahr aber liegt in der Pädagogik: hier wird sie sogar zur Verhinderung von Bildung, wenn Pädagogen glauben, ihren Zöglingen das Selber denken abnehmen zu müssen, um sie auf dem kürzeren Weg ihrer eigenen, schon verarbeiteten Lebenserfahrung zum Ziel zu führen, damit sie nicht mehr dieselben Fehler machen müssen, die ihre Elterngeneration gemacht hatte.

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