„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 14. April 2012

Reflexivität und Rekursivität

In diesem Post greife ich noch einmal das Thema meiner Posts vom 21.02.2012 und vom 09.04.2012 auf. Dabei soll es hier vor allem um die Differenz von Reflexivität und Rekursivität gehen. Ich hatte schon darauf hingewiesen, daß die Rekursivität einen Raum eröffnet, die auch den Anderen wie mch umfaßt. Dabei geht es mit Tomasello (vgl. meinen Post vom 25.04.2010) vor allem um das Phänomen der gemeinsamen Aufmerksamkeit, in der sich ein intentionales Subjekt für die Intentionen eines anderen Subjekts interessiert und versucht, sich mit diesem abzustimmen.

Dabei eröffnen sich verschiedene Ebenen des Wollens, des Wissens, des Bewertens von Wissen. Diese verschiedenen Ebenen beinhalten sowohl unbewußte wie auch bewußte Momente, so daß sich das Bewußtsein, wie es Damasio beschrieben hat, ebenfalls über verschiedene Ebenen unterhalb und oberhalb des Kernselbsts, als der Schwelle der Bewußtwerdung, erstreckt. (Vgl. Damasio 8/2009 (1999), S.110ff., 208ff.) In Anlehnung an Franz Fischers horizontalen Bildungskategorien (1975) habe ich versucht, diese Bewußtseinsebenen von A bis F (Graphik) zu gliedern. Dabei bilden A und B zwei in die Tiefen des Unbewußten hinabreichende Bewußtseinsebenen der Wahrnehmung und der Erinnerung. Die Wahrnehmung bildet ein Subjekt-Außenwelt-Verhältnis, und die Erinnerung bildet ein Subjekt-Innenwelt-Verhältnis, wobei diese Innenwelt das Gedächtnis bildet.

Beide Bewußtseinsebenen wirken ständig wechselseitig aufeinander ein: nichts, was wir wahrnehmen, ohne entsprechende, sie begleitende und formende Erinnerungen; und nichts, was wir erinnern, ohne durch Wahrnehmungen veranlaßt und neu eingefärbt worden zu sein. Das ist das Phänomen des kommunikativen Gedächtnisses, auf das ich in diesem Blog schon öfter eingegangen bin. (Vgl. meine Posts vom 05.02.2011 und 07.02.2011 zu Assmann und vom 22.03.2011 bis zum 24.03.2011 zu Welzer)

Die nächste Ebene (C) ist die der „sozialen Marker“, wie sie Welzer in Anlehnung an Damasios „somatische Marker“ nennt: Gefühle, Bewertungen und auch Benennungen, denn an diesen Benennungen haben wir den unmittelbar allgemeinen Bezug auf die wahrgenommenen Gegenstände und Erinnerungen, so daß wir uns im Gespräch mit anderen darauf beziehen können. Diese Ebene ist weitgehend identisch mit A und B, insofern sie weit in deren unbewußt bleibende Mechanismen hinabreicht. Zugleich sind wir uns unserer Bewertungen aber auch teilweise bewußt, und mit diesem Bewußtsein einer Stellungnahme – in Form der Plessnerschen exzentrischen Positionalität – eröffnet sich eben auch eine neue Bewußtseinsebene.

Richten sich Gefühle und Bewertungen vor allem auf innere Prozesse, im Sinne einer Selbstbeobachtung: wie reagiere ich auf Wahrnehmungen und Erinnerungen?, so richtet sich die Ebene D in Form von Bedürfnissen und Erwartungen an die Außenwelt, sowohl an die Naturwelt wie an die soziale Welt. Das beginnt mit Hunger und Durst und endet bei sozialer Anerkennung und Kommunikation.

Diese Bedürfnisse und Erwartungen werden wiederum von Wissen (E) begleitet: von allgemeinem Wissen über die natürlichen, technischen und sozialen Voraussetzungen, wie wir unsere Bedürfnisse und Erwartungen befriedigen können, bis hin zum konkreten Wissen über die jeweiligen Umstände und Personen, mit denen wir es gerade zu tun haben.

Das Ganze schließt sich im Falle von Rekursivität zu einer räumlichen Struktur mit mindestens zwei Brennpunkten, je nach dem, mit wie vielen Personen wir interagieren. Dieser rekursive Raum (F) stellt einen beständigen Sinnbildungsprozeß dar, einen Sinn von Sinn. „Sinn von Sinn“ meint eine Dynamik der über den Anderen wie mich verlaufenden Selbstverständigung, die sich nicht stillstellen läßt, ohne daß sie ihre Sinnhaftigkeit sofort einbüßt und der rekursive Raum in sich zusammenfällt.

Das wäre z.B. bei reflexiven Spiegelungsprozessen der Fall. Anstatt den Anderen wie mich in die Selbstverständigung miteinzubeziehen, grenze ich mich von ihm ab, so daß wie bei zwei gegenüberliegenden Spiegeln eine unendliche Reihe von Selbstspiegelungen entsteht. Das ist zwar auch eine Form von Rekursivität, aber sie läuft gewissermaßen ‚leer‘. Sie bleibt flächig und eröffnet keinen Raum, keine perspektivische Tiefe mit Vorder- und Hintergrund. Die Perspektive ist vielmehr stillgestellt und zeigt immer nur ein und dieselbe Ansicht auf mich selbst. Diese leerlaufende Rekursivität gleicht den rekursiven Funktionen, wie sie Kittler anhand der automatisierten Rechenschritte von Computerprogrammen beschreibt. (Vgl. 1986, S.360)

Dennoch beinhaltet diese Ebene weiterhin die Struktur eines nunmehr invertierten Sinns von Sinn, der sich in die eigene ‚Tiefe‘ unseres Unbewußten wie in einen Brunnen hinein verliert (umgekehrtes ‚F‘), aus dem gleichermaßen ‚Gesichte‘ wie Echos heraufschimmern und -tönen. Dabei handelt es sich um jene „Doppelgängerphantome“, von denen Kittler so gerne spricht. (Vgl. meinen Post vom 12.04.2012) Der von Spiegeln, Leinwänden und Monitoren zurückgeworfene Sinn von Sinn produziert dem in sich versunkenen Narziß Doppelgänger um Doppelgänger, an denen er sich gar nicht genug berauschen kann.

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