„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Dienstag, 22. November 2011

Plessner und Merleau-Ponty im Vergleich

Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1966
Erster Teil: Der Leib: VI. Der Leib als Ausdruck und die Sprache

1. Ähnlichkeiten
2. Unterschiede: Geste, Gebärde und Haltung
3. Unterschiede: Sprache und Sinn
4. Unterschiede: Verhältnisbestimmung von Natur und Kultur
5. Unterschiede: Einheit der Sinne versus leibliche Konfusion
6. Unterschiede: Wandlung versus Differenz
7. Unterschiede: Emergenz versus Gestalt

Man könnte hinsichtlich der im ersten Post angesprochenen Konvergenzen im Denken von Plessner und Merleau-Ponty darauf verweisen, daß es bei beiden für den Menschen wesentlich ist, sein Inneres nach Außen zu wenden, also sich auszudrücken. So heißt es bei Merleau-Ponty, daß „alles Denken im Ausdruck gleichsam seine Vollendung sucht“, daß „der vertrauteste Gegenstand uns unbestimmt bleibt, solange wir seinen Namen nicht finden“, und sogar daß „das denkende Subjekt gleichsam seine eigenen Gedanken nicht weiß, solange es sie nicht für sich selbst formuliert, ja solange es sie nicht ausgesprochen oder niedergeschrieben hat ...“ (Vgl. Merleau-Ponty 1966, S.210) – Jede einzelne dieser Formulierungen hätte so auch von Plessner stammen können.

Sobald wir aber einzelne Worte in diesen Formulierungen ändern, sieht das schon ganz anders aus. Würden wir z.B. schreiben, daß alles Denken im Ausdruck gleichsam seine Vollendung findet, statt sie nur zu ‚suchen‘, hätte das damit verbundene Menschenbild nichts mehr mit dem Plessnerschen zu tun. Und wenn man genauer hinsieht, stellt man bald fest, daß Merleau-Ponty im Suchen nach der Vollendung das Finden immer schon mitdenkt, – daß ihm zufolge sogar das Suchen nur auf der Basis funktioniert, daß man schon gefunden hat: „Gewiß ist der Vorgang des Denkens ein blitzartig augenblicklicher, doch bleibt uns sodann, es uns anzueignen; und wir machen es uns zu eigen nur durch den Ausdruck.“ (Merleau-Ponty 1966, S.211)

Das Denken hat demnach schon stattgefunden, intuitiv und „blitzartig“, – und schon hier ohne Thematisierung eines selbstbewußten Denksubjekts. Die dann nachfolgende artikulatorische Entfaltung des Denkens beinhaltet zwar eine Art Suche nach dem richtigen Ausdruck; dieser ist dann aber – einmal gefunden – über jeden Zweifel erhaben, denn er ist das, „was den Gedanken erst wahrhaft vollbringt().“ (Vgl. Merleau-Ponty 1966, S.211)

Wie aber gelingt die Verbindung zwischen der blitzartigen Intuition und dem gesprochenen Wort? Indem das gesprochene bzw. das sprechende Wort („sprechende Sprache“; vgl. Merleau-Ponty 1966, S.232) analog zum Leib immer schon Sinn hat: „Die Bindung des Wortes an seinen lebendigen Sinn ist kein äußerlicher Assoziationsverband, der Sinn wohnt dem Worte selbst inne, und so ,verliert auch die Sprache den Charakter einer äußerlichen Begleiterscheinung intellektueller Vorgänge‘().“ (Merleau-Ponty 1966, S.228)

Schon der Leib selbst ist wesentlich Gebärde, also Kommunikation von Sinn, und von ihm her wächst den Worten Sinn zu. Die Worte werden selbst zur Gebärde, zur Klanggebärde: „... der Leib verwandelt eine bestimmte motorische Wesenheit in Verlautbarung, entfaltet den Artikulationsstil eines Wortes in Klangphänomene, entfaltet eine einstige Haltung, die er erneuert, zum Panorama einer Vergangenheit, projiziert eine Bewegungsintention in wirkliche Bewegung, da er schlechthin das Vermögen natürlichen Ausdrucks ist.“ (Merleau-Ponty 1966, S.215) – Die Klangphänomene bilden so „eine erste Bedeutungsschicht“ der Worte, „die ihnen unmittelbar anhängt, den Gedanken aber nicht so als begriffliche Aussage, sondern als Stil, als affektiven Wert, als existentielle Gebärde mitteilt.“ (Vgl. Merleau-Ponty 1966, S.216)

Die Worte bilden letztlich also eine Verlängerung der leiblichen Motorik. Der ‚Sprecher‘ denkt und handelt in ihnen und mit ihnen wie mit leiblichen Organen: „Es genügt, daß Leib und Raum für mich existieren und ein mich umspannendes Feld des Handelns konstituieren. In gleicher Weise bedarf ich auch keiner besonderen Vorstellung von einem Wort, um es wissen und aussprechen zu können. Es genügt, daß ich sein Artikulations- und Klangwesen innehabe als eine mögliche Modulation, einen möglichen Gebrauch meines Leibes.“ (Merleau-Ponty 1966, S.214)

Der Sinn der Worte ist also immer schon ein leiblicher Sinn, weshalb Merleau-Ponty ja Worte auch als „Sprachgebärden“ bezeichnet (vgl. Merleau-Ponty 1966, S.221). Am Beispiel eines Vorstellungsbildes vom abwesenden ‚Peter‘ verdeutlicht Merleau-Ponty diesen Zusammenhang: „Daß ich mir Peter vergegenwärtige, heißt, daß ich mir eine Quasi-Gegenwart Peters verschaffe, indem ich ‚Peters‘ Verhalten sozusagen auslöse. Und so wie der eingebildete Peter nur eine Modalität meines Zur-Welt-seins ist, so ist auch das Wortbild nur eine Modalität meiner phonetischen Gestik, eine Modalität, die in eins mit zahllosen anderen mir gegeben ist im Gesamtbewußtsein meines Leibes.“ (Merleau-Ponty 1966, S.214f.)

Kommt aber in der Abwesenheit von Peter noch eine gewisse Differenz zwischen ihm und seinem Vorstellungs- bzw. Wortbild zum Ausdruck, so soll der Sinn des Wortes selbst nur noch in den Modifikationen bestehen, die es im „Gesamtbewußtseins meines Leibes“ hervorruft. Denn: „... trieben wir die Untersuchung hinreichend weit, so entdeckten wir schließlich, daß auch die Sprache (ähnlich wie die Musik – DZ) nichts sagt als sich selbst und ihr Sinn von ihr selbst nicht trennbar ist.“ (Merleau-Ponty 1966, S.223)

Eine Sprache aber, die sich selbst sagt und deren Sinn von ihr nicht trennbar ist, begnügt sich mit dem „eingebildeten Peter“. Sie verzichtet nicht nur auf dessen Anwesenheit, sondern macht sich nicht einmal mehr die Mühe, auf ihn zu verweisen. Sie begnügt sich mit sich selbst. Und der Sprecher wiederum begnügt sich damit, das Denken der Sprache zu überlassen: „Wohl hat Sprache ein Inneres, doch dieses Innere ist nicht das eines in sich geschlossenen selbstbewußten Denkens. ... Was sie darstellt oder vielmehr ist, ist nichts anderes als die Stellungnahme des Subjekts in der Welt seiner Bedeutungen. Und das Wort ‚Welt‘ ist hier keineswegs ein nur redensartlicher Ausdruck: es will sagen, daß das ‚geistige‘, das kulturelle Leben seine Strukturen dem natürlichen Leben entlehnt, daß das denkende Subjekt sich gründen muß im inkarnierten Subjekt.“ (Merleau-Ponty 1966, S.228f.)

Zwar scheint Merleau-Ponty hier erstmals eine echte Subjektbestimmung vorzunehmen, die das Subjekt nicht hinterrücks wieder in einem umfassenden Vorgang aufzulösen scheint. Aber anstatt diesem Subjekt ein Selbstbewußtsein zuzusprechen, bildet es lediglich den inkarnierten Mittelpunkt einer „Welt“ von „Bedeutungen“. Es steht – so Merleau-Ponty ausdrücklich – nicht im Zentrum eines selbstbewußten Denkens. Dieses Subjekt kann nicht scheitern. Es kann nur vollziehen. Dieses gleichzeitig inkarnierte wie unreflektierte Vollziehen von Bedeutungsintentionen ist seine Bestimmung, denn „die Erfahrung des eigenen Leibes (widersetzt sich) der Bewegung der Reflexion, die das Objekt vom Subjekt, das Subjekt vom Objekt lösen will ...“ (Merleau-Ponty 1966, S.234)

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