„...letztlich ist der Mensch, als Folge oder Krönung der Evolution, nur in der Totalität der Erde begreifbar.“ (Leroi-Gourhan, Hand und Wort, S.22)

Samstag, 8. Januar 2011

Ausdruck und Sinn

Waldenfels wendet sich gegen den „Dualismus eines Außen oder Innen“ (vgl. ders., Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenologie des Leibes, Frankfurt a.M. 2000, S.224), ohne dabei auch nur in Betracht zu ziehen, daß es noch andere, nicht-dualistische Verhältnisbestimmungen geben könnte: z.B. Innen und Außen als Wechselverhältnis bzw. als Doppelaspektivität. Dieses Wechselverhältnis stellt keinen Dualismus dar, noch nicht mal eine Dialektik, sondern lediglich Richtungen von Bezugnahmen auf den Menschen und auf die Welt. Als skurril empfinde ich es, wenn Waldenfels einerseits glaubt, „über den Gegensatz von Innen und Außen hinaus“ zu sein (vgl. Waldenfels 2000, S.219), aber andererseits ganz naiv von Stoffwechselprozessen (vgl. Waldenfels 2000, S.253) spricht, also von grundlegenden Lebensmechanismen, die ganz entschieden von der Homöodynamik zwischen Innen und Außen abhängen. Und nicht mehr nur als skurril, sondern als besonders ärgerlich empfinde ich es aber, wenn sich Waldenfels dabei auf Plessners exzentrische Positionalität bezieht (vgl. Waldenfels 2000, S.254), der nicht von ungefähr diese Doppelaspektivität von Innen und Außen unter anderem eben auch an den Stoffwechselprozessen lebendiger Organismen entwickelt hat (vgl. „Stufen“, S.197ff.).

Ich habe deshalb einige Zitate von Waldenfels und Plessner zum Begriff des Ausdrucks beispielhaft zusammengestellt, um daran die grundsätzliche Differenz zwischen Waldenfels und Plessner deutlich zu machen. Beginnen wir mit Waldenfels:
„Ausdruck bedeutet nicht einfach ein Nachaußentreten dessen, was ich innerlich bereits habe, sondern der Ausdruck ist die Realisierung des Sinnes; er bedeutet nicht das äußerliche Sichtbarwerden eines Sinnes, der innerlich schon vorhanden wäre.“ (Waldenfels 2000, S.222) / „Traditionell gesagt geht es (im ‚leiblichen Ausdruck‘ – DZ) um die Selbstdarstellung des Subjekts, obwohl ich dieses Wort nach Möglichkeit vermeide.“ (Waldenfels 2000, S.228)
Zwei wesentliche Momente sind in den zwei Zitaten von Waldenfels zum Begriff des Ausdrucks angesprochen: der Sinn geht völlig in seiner Realisierung im Ausdruck auf. Es bleibt nichts Ungesagtes zurück. Was auch immer mit ‚Sinn‘ gemeint sein mag, zwei Aspekte seiner möglichen Bedeutung bleiben hier ausgeblendet: die Differenz zwischen Gemeintem und Gesagtem (Bedeutung) und die Differenz zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem (Referentialität). Wo Sinn im ‚Ausdruck‘ voll und ganz, ohne Rest, realisiert wird, kann es Differentialität nur noch im Ausgesagten selbst geben – z.B. im Sinne einer différance (Derrida) –, aber nicht mehr zwischen Ausgesagtem und Ungesagtem.

Das zweite Moment betrifft die „Selbstdarstellung des Subjekts“ im „leiblichen Ausdruck“: Waldenfels bekundet dabei seine feste Absicht, es möglichst zu vermeiden, vom ‚Subjekt‘ zu sprechen. Was immer auch ‚sich‘ im Leib auf welche Weise auch immer zum ‚Ausdruck‘ bringen mag, es kommt dabei Waldenfels zufolge kein Inneres zum Ausdruck, „als hätten wir innen etwas, das nach außen gedrückt wird“ (vgl. Waldenfels 2000, S.223f.).

Als nächstes folgen zwei Zitate von Plessner:
„Adäquatheit der Äußerung als einer das Innere wirklich nach außen bringenden Lebensregung und ihre wesenhafte Inadäquatheit und Gebrochenheit als Umsetzung und Formung einer nie selbst herauskommenden Lebenstiefe –, diese scheinbare Paradoxie läßt sich nach dem Gesetz der vermittelten Unmittelbarkeit ebenso verstehen und als bindend für das menschliche Dasein erweisen wie die scheinbare Paradoxie des Realitätsbewußtseins auf Grund der Immanenz.“ (Stufen, S.333f.) / „Der Abstand des Zielpunktes der Intention vom Endpunkt der Realisierung der Intention ist eben das Wie oder die Form, die Art und Weise der Realisierung. Jede Lebensregung der Person, die in Tat, Sage, oder Mimus faßlich wird, ist daher ausdruckshaft, bringt das Was eines Bestrebens irgendwie, d.h. zum Ausdruck, ob sie den Ausdruck will oder nicht. ... Nicht liegt hier der Inhalt und dort die Form, wie es der Berufsmensch gewöhnt ist, der zu einem Ziel bestimmte Methoden wählt. Die Vorwegnahme der Form, ihre Berechnung ist nur da möglich, wo der Mensch über die Wirklichkeit schon Bescheid weiß und seinen Intentionen die Erfüllungen garantiert sind. Die Form dagegen, von der als dem Abstand zwischen Zielpunkt der Intention und Endpunkt der Realisierung die Rede ist, läßt sich eben deshalb nicht vorwegnehmen, vom Inhalt wegnehmen und auf den Inhalt stülpen, sie ergibt sich in der Realisierung. Sie widerfährt dem Inhalt, der nur das während der Realisierung durchgehaltene Ziel des Bestrebens ist. Und weil es auf diese Weise eine Kontinuität zwischen Intention und Erfüllung gibt trotz der vorher nicht bekannten und wesensmäßig nie für sich gegebenen Brechung des Intentionsstrahls im Medium der seelischen und körperlichen Wirklichkeit, hat das Subjekt ein Recht von einem Gelingen seines Bestrebens zu sprechen.“ (Stufen, S.337f.)
‚Ausdruck‘ bzw. ‚Äußerung‘ bedeutet bei Plessner zunächst einmal genau das, was das Wort ‚aus-drückt‘, nämlich eine das „Innere wirklich nach außen bringende() Lebensregung“. Diese Bewegung ist nun aber zugleich in sich gebrochen, da sie nie adäquat in eine Form (Äußerung) umgesetzt zu werden vermag! Diese „Inadäquatheit“ ist „wesensmäßig“, so daß der Ausdruck das Innere einer Lebensregung nur insofern ‚adäquat‘ umzusetzen vermag, daß in der mißlingenden Form, im Versagen der Äußerung, der ursprüngliche Sinn erst sichtbar werden kann, – als unauslotbare „Lebenstiefe“. Indem also der „Zielpunkt“ des zugrundeliegenden „Intentionsstrahles“ und der „Endpunkt“ der Äußerung auseinanderfallen, ist Sinn eben nicht mehr gleich Sinn, weil es nämlich zwischen Gemeintem und Gesagtem eine unendliche Differenz gibt. Darüberhinaus ist Plessner zufolge jede Lebensregung einer Person zugleich eine Lebensäußerung, „ob sie den Ausdruck will oder nicht“. Expressivität bildet also eine Grundform exzentrischer Positionalität.

Daß dennoch Inhalt und Form, Zielpunkt und Endpunkt einer Äußerung nicht einfach beziehungslos auseinanderfallen, daß es also „eine Kontinuität zwischen Intention und Erfüllung gibt“, liegt am durchgehaltenen „Intentionsstrahl“ eines Subjekts der Äußerung, das von seinen Intentionen nur weiß aufgrund der Brechung, die ihnen im „Medium der seelischen und körperlichen Wirklichkeit“ widerfährt, also als Ent-Äußerung von innen nach außen und von außen nach innen, von der ‚Seele‘ zum ‚Körper‘ (leiblicher Ausdruck) und vom Ich (Subjekt) zum Du (anderes Subjekt) und zurück.

An dieser Gegenüberstellung von Waldenfels und Plessner sollte deutlich geworden sein, daß es eine Verhältnisbestimmung von Innen und Außen jenseits des Entweder-Oder gibt und daß diese Doppelaspektivität grundlegend ist, wenn man der Leib-Körpergrenze und ihrer Bedeutung für das Menschsein auf die Spur kommen will.

Download

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen